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Ein Ort zum sterben

Ein Ort zum sterben

Titel: Ein Ort zum sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carol O'Connell
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waren etwas, was Max in der Warteschlange aufgeschnappt hatte. Eine Frau hatte eine lange Geschichte von ihrer Schwester Emaline erzählt, die ein krankes Herz hatte und um die sie sich ständig die größten Sorgen machte.
    »Berichte uns von diesen Gedanken«, sagte Max. Nach diesem Stichwort würde Edith, so war es verabredet, die Binde von den Augen nehmen und fragen, ob jemand im Zelt etwas mit dem Namen Emaline anfangen konnte. Sie sah auf die Gesichter herab, die ihr erwartungsvoll zugewandt waren.
    Eins war darunter, das sie nicht mehr losließ, das Gesicht eines Jungen in der ersten Reihe. Er sah sie groß an, fröstelte, sah weg, senkte die sanften Augen zu Boden. Sie fixierte ihn, bis er wieder hoch sah, Qual im Blick wie ein ertrinkendes Tier. Als er jetzt aufstand, bewegte er sich mühsam, wie durch tiefes Wasser, das ihn nicht freigeben wollte. Ein älterer Mann, der das gleiche Tankstellen-Logo auf dem Overall hatte wie der Junge, legte ihm die Hand auf die Schulter, bedeutete ihm, sich wieder hinzusetzen. Der angsterfüllte Blick des Jungen heftete sich erneut auf Edith Candle. Er schüttelte die Hand des Älteren ab und schwankte wie alkoholisiert zum Ausgang. Sie aber wußte, daß er nichts getrunken hatte.
    »Du mußt der Polizei sagen, was du getan hast!« rief sie ihm nach. Mit einem Ruck drehte er sich noch einmal um. Sein Gesicht verriet mehr Leid, als einem Kind je widerfahren durfte.
    »Du mußt es sagen«, wiederholte sie lauter.
    Der Junge stieß einen erstickten Schrei aus und flüchtete. Ein Polizist, der unter den Zuschauern gesessen hatte, stand auf und folgte ihm.
    In jener Nacht grub der Sheriff des Ortes hinter einem baufälligen Behelfsheim die Leiche von Tammy Sue Pertwee aus. Die Meldung kam noch rechtzeitig für die Morgenzeitungen, und in Maximilians Zaubershow war Edith Candle zur Hauptattraktion geworden.
     
    Henry Cathery saß zur Dämmerzeit im Park. Als die schöne Frau eintraf, gingen gerade die Straßenlampen an. Er hatte gewußt, daß sie wiederkommen würde. Gestern hatte er den ganzen Tag vergeblich auf sie gewartet. Nachdem sie zuvor so viele Tage jeden Morgen und jeden Abend dagewesen war, hatte er sie gestern schmerzlich vermißt. Aber dann war Mrs. Siddon gestorben, und da war die schöne Frau zu ihm zurückgekommen.
    Sie öffnete die Tür ihres braunen Kleinwagens und stieg aus. Das hatte sie noch nie gemacht. Mit anmutig schwingenden Hüften ging sie auf das gegenüberliegende Haus zu. Er sah ihr nach, ohne den Kopf zu bewegen. Das goldene Haar leuchtete im Lampenlicht und schien Funken zu sprühen. Wundervoll gefährliche Augen hatte diese elektrisierende Frau.
    Der Pförtner hielt ihr die schwere Eichentür auf. Einen wie ihn traf eher dreimal hintereinander der Blitz, als daß er die Chance gehabt hätte, Kathleen Mallory auch nur einmal zu berühren, und das nagte an ihm, man sah es ihm an. Er war ein langer Kerl und hätte, dachte sich Henry, auf einer Kuhweide bestimmt gut zum Blitzableiter getaugt. Aber man war in New York.
    Henry Cathery stand auf und ging zu dem Gittertörchen. Er drückte sein Gesicht an die Stäbe und sah zu dem braunen Wagen hinüber. Dann machte er das Tor auf und ging langsam über die Straße, ohne sich weiter um den Autofahrer zu kümmern, der seinetwegen eine Vollbremsung hinlegen und gefährlich um ihn herumkurven mußte. Er sah durch ein Wagenfenster. Der Innenraum war heute viel ordentlicher. Kein Abfall, keine Kaffeebecher. Das Fenster an der Fahrerseite stand einen Spaltbreit offen. Er schnupperte. So also roch sie. Er schob die Hand in die Öffnung und drückte die Scheibe so weit nach unten, daß er mit der Handfläche das Sitzpolster streicheln konnte.
     
    Jonathan Gaynor stand so dicht vor ihr, daß Mallory den Sattel heller Sommersprossen auf seinem Nasenrücken erkennen konnte. Er war fast vierzig, trotzdem meinte man immer noch, einen kleinen Jungen mit falschem Bart vor sich zu haben. Sie streckte ihm das Lederetui mit dem Ausweis und ihrer Dienstmarke entgegen. Die meisten Leute streiften den Ausweis nur mit einem flüchtigen Blick, er aber las ihn genau.
    »Sie sind pünktlich, Sergeant Mallory.« Er trat beiseite, um sie eintreten zu lassen. Das Handgelenk mit der Rolex schnellte vor. »Auf die Sekunde.«
    Sie merkte, daß er den Kaschmirblazer musterte, den sie zu ihren Jeans trug. Wahrscheinlich versuchte er, das feine Tuch mit ihrem Polizistensalär in Einklang zu bringen. Scharfäugig wie ein Schätzer von

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