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Ein Ort zum sterben

Ein Ort zum sterben

Titel: Ein Ort zum sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carol O'Connell
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der Versicherung registrierte sie die feuchten Ringe auf dem schönen alten Holz, die druckfrische Zeitung, die auf dem hellen Brokatpolster unweigerlich Flecken hinterlassen würde, die schönen Sammlerstücke aus Kristall, die überall herumstanden. Fast überall. Mit ihrem ausgeprägten Sinn für Symmetrie entdeckte sie Stellen, an denen noch vor kurzem Pendants dazu gestanden hatten. Sie ließ sich in dem schweren Sessel nieder, der die übrige Einrichtung beherrschte, und forderte ihn mit einer Handbewegung auf, sich einen zierlichen Fauteuil heranzuziehen.
    »Sie haben mit niemandem über diese Verabredung gesprochen?«
    »Natürlich nicht, Sergeant.« Er quetschte sich in den Fauteuil, und die spitzen Ellbogen kamen den Figurinen auf dem Beistelltisch gefährlich nahe. »Daß verdeckte Ermittlungen gefährlich sind, ist mir durchaus klar. Sie können sich auf meine Diskretion verlassen.«
    »Vielen Dank. Eine Ihrer Nachbarinnen hält mich für eine Privatdetektivin. Es wäre mir lieb, wenn man sie in diesem Glauben lassen könnte.«
    »Selbstverständlich. Was kann ich für Sie tun?«
    »Sie kannten Inspector Markowitz?«
    »Er war einmal hier, nach dem Mord an meiner Tante. Ein sympathischer Mensch, ich war sehr betroffen, als ich hörte, daß er tot ist.« Eine Hand hing über der Sessellehne, die andere lag auf seinem Schenkel, als seien die beiden Körperteile sich gänzlich fremd.
    »Sergeant Riker hat mir erzählt, daß Markowitz Sie um Ihren fachlichen Rat gebeten hat, Mr. Gaynor.«
    »Ja. Er interessierte sich für die Sozialkontakte am Gramercy Square, besonders die der älteren Anwohner.«
    »Über dieses Gespräch liegt nichts Schriftliches vor, wir würden aber der Spur gern nachgehen, vielleicht bringt sie uns ein Stück weiter. Können Sie sich noch erinnern, worüber Sie geredet haben?«
    »Nur noch vage, das Gespräch ist ja inzwischen zwei Monate her. Es ging im wesentlichen darum, wie die alten Damen vom Gramercy Square miteinander Verbindung hielten. Das Viertel ist eine faszinierende kleine Welt für sich …« Die herabhängende Hand stieß an den Beistelltisch. Gaynor merkte gar nicht, daß sie sich weh getan hatte, so fern waren sich Hand und restlicher Körper.
    »Hat Markowitz Sie auch nach Einzelheiten gefragt?«
    »Ja, aber ich konnte ihn nur ganz allgemein ins Bild setzen. Damals wohnte ich noch nicht hier – ich bin erst Wochen nach dem Tod meiner Tante eingezogen – und kannte mich auf dem Square nicht so aus.«
    »Sergeant Riker hatte den Eindruck, daß Sie Markowitz sehr geholfen haben. Das Gespräch ging über drei Stunden, nicht wahr? Sein oberes Limit waren sonst vierzig Minuten.«
    Gaynor sah zur Decke hoch, als fahnde er dort nach persönlichen Aufzeichnungen.
    »Er suchte nach Berührungspunkten. Der einzige gemeinsame Nenner, auf den ich ihn hinweisen konnte, war die Einsamkeit älterer Menschen. Damals waren ja erst zwei Frauen ermordet worden. Ich erinnere mich noch, daß ich ihn fragte, ob das erste Mordopfer, Mrs. Cathery, so etwas wie ein soziales Netz gehabt habe. Nein, meinte er, davon wisse er nichts. Bei Tante Estelle war es genauso. Und beide hatten auch keine Hilfe, die ständig im Haus wohnte.«
    Die Hand rutschte von der Armlehne und fiel schwer in seinen Schoß.
    »Aber Mrs. Cathery lebte nicht allein, sie wohnte mit ihrem Enkel Henry zusammen. Kennen Sie ihn?«
    »Ach, wissen Sie, hier in New York kann man ja kaum bei Leuten von nebenan von gutnachbarlichen Beziehungen reden – geschweige denn bei denen, die um die Ecke wohnen. Meine Tante kannte ihn. Sie bezeichnete ihn als Einsiedler. Und ein bißchen exzentrisch ist er zweifellos.« Ein Fuß verirrte sich unter den Couchtisch, das Schienbein stieß gegen die harte Tischkante, aber Gaynor verzog keine Miene, das Schmerzgefühl hatte ihn nicht erreicht. »Der Presse habe ich entnommen, daß er nicht einmal die Polizei verständigt hat, als seine Tante an dem bewußten Abend nicht heimkam. Ist das nicht eigenartig? Aus der Sicht der Polizei, meine ich.«
    »Dem Ermittlungsbeamten hat er gesagt, er habe es genossen, einmal seine Ruhe zu haben, und deshalb sei er gar nicht auf die Idee gekommen, nach ihr zu suchen.«
    Bei jener ersten Vernehmung von Henry Cathery vor einem Vierteljahr war für den Fall noch die Mordkommission zuständig gewesen. Aufgrund der Notizen des ermittelnden Beamten und nach einem zweiten Gespräch war Markowitz zu dem Schluß gekommen, daß Cathery die Wahrheit sagte.

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