Ein Ort zum sterben
augenzwinkernd mit Mallory bekannt machen, als sähen sie sich heute zum ersten Mal, und folgte seiner Gastgeberin. Eine der weißhaarigen Damen verfügte offenbar über einen gut entwickelten Überlebensinstinkt, denn sie brachte sich vor seinen spitzen Ellbogen schleunigst in Sicherheit.
Doch Mallory mußte neidlos anerkennen, daß er gut bei den alten Damen ankam, solange er ruhig an einem Fleck saß, so daß er keine Zusammenstöße provozieren und über nichts stolpern konnte. Er ließ sich willig von ihnen verwöhnen und mit Plätzchen vollstopfen. Die gut erhaltene Achtzigjährige schmolz sichtlich dahin, als er im Eifer des Gesprächs ihre Runzelhand streifte.
Mallory sah sich genötigt, von ihrer bisherigen Meinung abzurücken, wonach jenseits der Vierzig mit Sex nichts mehr läuft, und wandte ihre Aufmerksamkeit wieder der großen schlanken Frau mit der Mannequinfigur zu, die sich neben sie auf die Couch gesetzt hatte. Die teuer-raffinierte Kurzhaarfrisur brachte die feine Struktur des von tausend Fältchen durchzogenen Gesichts vorteilhaft zur Geltung. »Ja, wir kannten Samantha Siddon recht gut«, sagte sie gerade zu Edith. »Nach dem zweiten Mord hat sie sich keine Séance mehr entgehen lassen. Sie genoß den Kitzel der Gefahr. So etwas habe sie vor fünfzig Jahren zum letzten Mal erlebt, und auch da nur ganz kurz, hat sie gesagt.«
Mallory nahm dem Dienstmädchen die hauchzarte Teetasse ab. »Haben Sie denn keine Angst?« fragte sie. »Drei Morde in Ihrer unmittelbaren Umgebung. Diese Frauen –«
»Aber nein, Kindchen, weshalb denn? Pearl Whitman zum Beispiel ist gar nicht hier ermordet worden. Allerdings war es wohl derselbe Wahnsinnstäter. Pearl hatte viel weniger Angst vor dem Tod als davor, jahrelang in einem Krankenbett dahinzuvegetieren und aufs Sterben zu warten oder aber – und das meist vergeblich – auf Besuch.«
»Mrs. Whitman gehörte demnach auch zu Ihrem spiritistischen Zirkel?«
»Sogar zu den Gründungsmitgliedern. Ein Mord, fand sie, machte die ganze Sache nur noch spannender.«
»Und Estelle Gaynor?«
»Bei ihr hat die allererste Séance stattgefunden.«
»Nein, bei der ersten war Anne die Gastgeberin«, sagte eine Stimme hinter Mallory.
Mallory sah in die blanken Augen einer Frau mit Vollmondgesicht und blau getöntem Haar.
»Anne?«
»Anne Cathery«, ergänzte das Mondgesicht.
»Es ist Ihnen doch wohl klar, daß es da einen Zusammenhang gibt …«
»Zwischen den Morden und den Séancen? Natürlich ist uns das klar.« Sie machte eine weit ausholende Handbewegung.
»Dem ganzen Zirkel – oder dem, was davon übrig geblieben ist. So verkalkt sind wir denn doch noch nicht. Ihr jungen Leute denkt immer, wir wären alle schon mit Alzheimer und Altersflecken zur Welt gekommen.«
»Nichts für ungut, Kindchen«, sagte die mit der Mannequinfigur freundlicher. »Daß für Sie und Ihresgleichen ältere Mitbürger automatisch auch vertrottelt sind, ist völlig normal und das Vorrecht der Jugend. Mich stört das nicht, ich finde diese Einstellung bei Kontakten mit Ihrer Generation sogar recht nützlich.«
Das Mondgesicht zwinkerte der Mannequinfigur zu. »Wie bei dem Finanzmenschen, den du letztes Jahr so schön über den Tisch gezogen hast?«
»Eine runde Million Nettogewinn. Nicht zu verachten. Der gute Junge hatte sich eingebildet, ich säße als Witwe des Hauptaktionärs nur der Form halber im Aufsichtsrat. Aber Sie scheinen sich mehr für Morde als für Mäuse zu interessieren. Das spricht für Sie.«
»Sie haben also keine Angst?«
»Vor dem Tod? Das müßte ich mir überlegen. Doch, meistens schon. Aber Sie wissen ja, dann gibt es immer wieder Tage … Nein, natürlich wissen Sie das nicht. Sie sind noch ein halbes Kind, haben noch nie etwas mit Blähungen und Inkontinenz zu tun gehabt. Ich habe nicht den Eindruck, daß Samantha sich ans Leben klammerte. Sie fand, daß sie alt genug geworden war. Sogar die eigenen Kinder hat sie überlebt, was fast unverzeihlich ist.«
»Gab es da nicht eine Cousine?«
»Margot. Ein sonderbares junges Geschöpf. Ich glaube, Samantha machte sich nicht viel aus ihr, auch wenn sie mächtig stolz darauf war, daß das Mädel pünktlich jede Woche bei ihr antrat. Viel Freude hat sie an den Besuchen wohl nicht gehabt. Nein, ich denke, Samantha ist nicht ungern gestorben.«
»Aber so ein Tod …«
»Ein jähes Ende hat etwas Erregendes. Der Tod ist das Größte, was es gibt … aber davon verstehen Sie nichts.« Eine schmale,
Weitere Kostenlose Bücher