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Ein Ort zum sterben

Ein Ort zum sterben

Titel: Ein Ort zum sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carol O'Connell
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hin. Der nickte. Das Gespräch hatte begonnen, auch wenn es noch zwanzig Minuten dauern sollte, ehe das erste Wort fiel.
    Nach einem raschen Blick auf Catherys Magnetschach kam ihm dessen Eröffnung, die einer klassischen Meisterschaftspartie entnommen war, nicht unerwartet. Drei Züge später wußte er, daß Cathery vorhatte, diese Partie auch weiter nachzuspielen. Charles rief sich die entsprechende Seite aus einem Schachbuch auf und machte seinen Zug. Catherys Reaktion war vorhersehbar. Allerdings würde er, wenn Charles sich sklavisch an die Originalpartie hielt, wohl doch Verdacht schöpfen. Auch wenn Cathery kein eidetisches Gedächtnis besaß – eine eher seltene Begabung-, hatte er als überragender Schachspieler berühmte Partien mit Sicherheit vollständig im Kopf.
    Während Cathery das Brett studierte, überlegte Charles, welche weniger bekannten Partien zu dieser Eröffnung passen mochten. Natürlich war das irgendwo unredlich – Mallorys verderblicher Einfluß! aber es blieb ihm gar nichts anderes übrig, als durch Leistung zu überzeugen. Mit einem Gespräch über das Wetter würde er Cathery nicht lange fesseln können.
    »Ich habe Sie noch nie hier gesehen«, sagte der und gefährdete einen Läufer in seiner Eile, einen Bauern in eine Dame umzuwandeln. »Sie sind wohl gerade erst eingezogen?«
    »Nein, ich wohne nicht hier.« Charles verschonte den Läufer und überlegte, wie er die neue Dame schlagen konnte. »Meinem Onkel gehörte das schöne alte Haus dort drüben.« Er deutete auf die andere Seite des Parks. »Wahrscheinlich hat man inzwischen Eigentumswohnungen daraus gemacht. Hier im Park habe ich als Kind gespielt, er hat sich nicht verändert. Wunderbar, diese Stille.«
    Cathery nickte. »Ich ziehe hier nie weg.«
    Das konnte Charles gut verstehen. Jetzt, da Cathery erwachsen war und keine kindlichen Quälgeister mehr zu fürchten brauchte, war diese Umgebung ideal für den Schachspieler, der die Einsamkeit liebte. Keine krakeelenden Passanten, keine störenden Schnorrer. Ein auf die elementarsten Bedürfnisse reduziertes Leben. Kleidung und Haar verrieten, daß Henry Cathery auf seine eigene Person wenig Sorgfalt verwandte. Der Dreitagebart war nicht Absicht, sondern Nachlässigkeit. Er würde sich immer auf das Wesentliche beschränken, um sich nicht von seinem Spiel ablenken zu lassen.
    In diesem Moment aber gab es doch eine Ablenkung.
    »Henry!«
    Vor dem Parktor stand eine magere junge Frau mit verfilzten! Haar. Sie trug ein langes dunkelrotes Kleid mit Rissen im Rock. Eine verschossene Brokatjacke war ihr einziger Schutz gegen die Kühle des Oktobermorgens. Interessant, daß sie ihn beim Vornamen nennt, dachte Charles.
    Er wartete, bis Cathery seinen Zug gemacht und aufgesehen hatte, dann deutete er mit einer Kopfbewegung auf die Frau am Gitter. Cathery sah flüchtig zu ihr hin und sagte ungerührt: »Lassen Sie nur, die geht gleich wieder weg. Sie sind am Zug.«
    »Nicht Ihre Freundin?«
    »Nein.«
    Es hätte ihn eigentlich auch gewundert. Henry Cathery war wie in einem Reservat und ohne finanzielle Sorgen aufgewachsen, während von dem Mädchen dort an den Gitterstäben etwas Zielloses, Unbehaustes ausging.
    »Ich habe keine Freunde«, sagte Cathery.
    Das klang plausibel. Auch Freundschaft ist eine Form der Ablenkung.
    »Und keine Familie?«
    »Nicht mehr.«
    Noch eine Ablenkung weniger.
    Die junge Frau lief vor dem geschlossenen Tor hin und her. Jeder Muskel ihres Körpers war in zuckender Erregung. Unvermittelt blieb sie stehen, klammerte sich ans Gitter und drückte das Gesicht gegen die Stäbe. Allmählich legte sich die Anspannung, sie ließ das Gitter los, wurde ruhiger. Still, mit leichten, anmutigen Schritten ging sie davon. Charles sah ihr nach und empfand dabei ein unerklärliches Gefühl der Trauer.
    Cathery streifte ihn mit einem etwas ungeduldigen Blick. Charles brachte Catherys neue Dame zu Fall, was seinen Gegner ein wenig zurückwarf. In der Atempause, die ihm dieser gekonnte Zug des alten Schachmeisters verschafft hatte, sah Charles zu dem Schuppen am Ostende des Parks hinüber.
    »Dort also ist der erste Mord geschehen. Eigentlich ein viel spannenderes Problem als eine Schachpartie …«
    Cathery hatte die Hand ausgestreckt, um seinen König zu rochieren. Die Hand blieb in der Schwebe, der Blick, nun doch abgelenkt, folgte dem von Charles.
    »Ich sehe da kein Problem.«
    »Bei einem Mord am hellichten Tag ohne einen einzigen Zeugen? Wenn das nicht spannend ist

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