Ein Ort zum sterben
Schadenfreude erkennen. Resigniert hob er die Hände. Das Bier spritzte.
Mallory wandte sich ab. Sie hat gehört, was sie hören wollte, dachte Riker, hat sich von meinem Gequassel genommen, was sie gebrauchen kann, und den Rest kann ich mir sonst wohin stecken. Er stierte auf seine Flasche. Die wievielte war es eigentlich?
»Vielleicht überschätzt ihr Redwing«, sagte sie.
»Bestimmt nicht. Sie ist ein Schmalspurtalent, da hast du schon recht, bei großen Sachen macht sie regelmäßig Murks, aber sie ist immerhin schlau genug, um vorstrafenmäßig eine weiße Weste zu behalten, und gefährlich genug, um dir was anzutun. Komm der Person bloß nicht zu nahe.«
»Also doch eine Anklage wegen Körperverletzung …«
Dabei hatte er sich so fest vorgenommen, nichts über Redwing rauszulassen!
»Bleib du dieser Redwing vom Leibe!«
»Ich weiß, daß ihr eine neue Adresse habt. Her damit.«
»Fällt mir überhaupt nicht ein.« Irgendwo war Schluß. Kathy hatte ihn in die Pfanne gehauen, hatte ihn nach allen Regeln der Kunst über den Tisch gezogen. Sie mußte nicht alles wissen. Wie viel Bier hatte er geschluckt? Und wann war ihm das mit der neuen Adresse rausgerutscht?
»Kannst du denn nie ordentlich zuhören, Kathy? Coffey deckt dich. Wenn du Mist baust, machst du ihn mit kaputt. Denk dran, was Markowitz passiert ist. Ohne Rückendeckung geht niemand zu ihr. Zwei Cops haben mich ihre Notizen über Redwing lesen lassen. In dem einen Fall wurde die Strafverfolgung eingestellt, weil der Mann, der sie angezeigt hatte, spurlos verschwunden war, ein anderer ist an einem Herzinfarkt gestorben. Weil er sich zu Tode erschreckt hat, sagt der Kollege.«
Sie sah mit unbewegtem Gesicht auf die Korkwand. Kathleen Mallory verstand sich sehr wohl aufs Zuhören, dachte Riker – und aufs Auslegen von Ködern. Redwings Adresse war sein letzter Trumpf. Markowitz’ Tochter hatte das Zeug zu einer erstklassigen Polizistin.
»Ich wollte dir ja nur helfen, Riker. Wenn deine Leute in dem Kabuff in der Hudson Street auf sie warten, sehen sie ganz schön alt aus. Sie benutzt die Wohnung nur, weil das Haus einen unterirdischen Zugang zu einem anderen Haus in einer Nebenstraße hat und sie dadurch unsere Leute abschütteln kann.«
Er hob die Flasche ans Licht. Wenn er sie ans Ohr hielt wie eine Muschel, konnte er vielleicht Markowitz darin lachen hören …
Edith rumorte in der Küche herum. Sie machte einen kleinen Imbiß für Charles zurecht. Der war im Wohnzimmer stehen geblieben und drehte sich langsam um die eigene Achse. Irgend etwas hatte sich verändert, aber er hätte nicht sagen können, was. Je weiter er in der Erinnerung zurückging, desto öfter ließ ihn sein fotografisches Gedächtnis im Stich. Seit seiner Kindheit hatte sich an diesen Räumen nichts geändert – bis auf die Adresse. Edith und Max hatten sich am Gramercy Square genau so eingerichtet wie in ihrem früheren Haus, hatten die gleichen Vorhänge angeschafft, die Wände mit den entsprechenden Paneelen und Tapeten versehen lassen. Als Neunjähriger hatte Charles ihnen mit Hilfe seines phänomenalen Erinnerungsvermögens bei Details der Einrichtung geholfen. Für ihn war es ein unterhaltsames Spiel gewesen in den langen Wochen, als seine Eltern zu einer wissenschaftlichen Tagung ans andere Ende der Welt geflogen waren. Er hatte nicht geruht, bis alle Möbelstücke, alle Nippesgegenstände, Fotos und Bilder an ihrem gewohnten Platz waren.
Zwischen jenem Besuch und dem nächsten lagen zehn Jahre. Eine Veränderung war dem Neunzehnjährigen sofort ins Auge gefallen: Statt des Porträts von Max hing ein schöner Jagddruck an der Wand. Ansonsten war alles unverändert. Dieselben Porzellanfiguren von Museumsrang, dieselben silbernen Schälchen und Aschenbecher, auf dem Kaminsims Fotos und Kerzen, auf den Tischen Spitzendeckchen, auf den Brokatpolstern Schonbezüge. Ein Telefonapparat von neunzehnhundertzehn. Ediths Computer, der einzige Vertreter des ausgehenden zwanzigsten Jahrhunderts, war in einen Hinterraum verbannt.
Er ging in das Zimmer, das die Bibliothek vom Gramercy Square in verkleinertem Maßstab war und das er seit seiner Kindheit nicht mehr betreten hatte. Bei seinen späteren Besuchen hatte Edith Tee und Sandwiches immer ins Wohnzimmer gebracht. Die Bibliothek war ihm von allen Räumen stets der liebste gewesen. In den Regalen standen eng gedrängt die Bücher über Zauberkunst, darunter auch viele wertvolle, bis zu zweihundert Jahre alte
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