Ein Ort zum sterben
paar armselige Brosamen?
Und dann träumte sie, Louis Markowitz bringe ihr das Tanzen bei.
Als Margot Siddon die Augen aufschlug, hätte sie nicht sagen können, ob es die Morgen- oder die Abenddämmerung war, die als graues Licht im Zimmer stand. Welcher Tag war eigentlich heute? Und dann regte sich der Hunger. Ihr Magen biß und knurrte wie ein wildes Tier. Das blutige Messer lag ein paar Zentimeter vor ihrem Gesicht, sie nahm es nicht wahr in den langen Minuten, in denen sie ans Essen dachte. Sie träumte von frischem Brot. Ihre blindlings zur Tür tappenden Füße schoben das Messer beiseite.
Pappbecher gab es draußen reichlich. Sie suchte sich einen aus, präparierte ihn mit ihren letzten Cents und streckte ihn klimpernd den Touristen hin.
Eine alte Frau blieb stehen und ließ Margot im kalten Wind warten, während sie eine dick geäderte Hand in die große Handtasche steckte, unglaublich tranig darin herumkramte und endlich eine Kleingeldbörse zutage förderte. Margot trat von einem Fuß auf den anderen, während die arthritischen Finger sich mit der Schließe mühten, umständlich eine lächerliche Zehn-Cent-Münze hervorholten und in den Becher fallen ließen.
Mit großen Augen sah sie auf den Dime, der jetzt mit den drei Cents auf dem Grund des Bechers ruhte, dann schrie sie ihre Wut und Enttäuschung so laut heraus, daß die Alte zwei Schritte bis an die mit Plakaten und Graffiti bedeckte Backsteinmauer zurückwich. Margot überschüttete sie mit einem Wortschwall aus Obszönitäten, die in einem wütenden Singsang mündeten: Fotzefotzefotze! Die alte Frau hatte sich umgedreht, sie floh, so schnell die schwachen Krampfaderbeine sie trugen, und zog den dünnen Mantel am Hals enger zusammen, als könne er sie vor der jungen Irren schützen, die neben ihr hertanzte, hin und wieder einen Luftsprung machte und Worte schrie, die sie trafen wie Keulenschläge und panisches Entsetzen auslösten.
Sie versuchte sich in Trab zu setzen, aber die alten Glieder machten nicht mit, die Beine knickten unter ihr weg, es gab einen splitternden Laut, als sie auf dem harten Beton landete, der ein Feind alter Knochen ist und sie kaputtschlägt, wo er sie findet. Daß sie auf die scharfe Kante einer kaputten Bierflasche gefallen war, hatte sie nicht gespürt, das merkte sie erst, als sie das Blut quellen sah. Ein erschrockener Laut kam aus ihrer Kehle, er klang wie ein leises Maunzen, und es war nicht so sehr der Schmerz, der ihr angst machte, als der Anblick von so viel Blut. Auf allen vieren kroch sie über den Gehsteig, während die junge Irre mit den verfilzten Haaren noch immer schreiend und zeternd um sie herumtanzte, so daß die Passanten große Augen machten, rasch vorbeigingen und taten, als hätten sie nichts gesehen, nichts gehört, nichts gespürt.
Die alte Frau hatte ihren Fluchtversuch aufgegeben und lag ganz still. Tränen rannen ihr übers Gesicht, und durch die schartige rote Wunde in ihrem Bein lief ihr Leben davon.
Nach ausreichendem Essen und ausreichendem Schlaf war Margot wieder voll da. Sie ließ im Geist noch einmal die Bilder vor sich ablaufen: das Messer, das mit einem schnellen Stoß zwischen seinen Rippen verschwunden war. Das schaumige Blut vor seinen Lippen, als er japsend wie ein Fisch auf dem Trockenen zusammengesackt war. Lange hatte sie ihm in die Augen gesehen. Kein Zweifel, das war der Mann. Nur er konnte solche Augen haben.
Sie mußte das Messer loswerden. Alle Messer. Jetzt brauchte sie ja keins mehr. Wie viele hatte sie im Haus? Sie ging in die Küche, suchte alle zusammen, wickelte sie in ein Handtuch und trug sie so behutsam hinaus, als wären es ihre Babys. Und das waren sie ja auch gewesen. Bis jetzt.
Riker hatte es sich in einem Sessel vor der Korkwand von Mallorys Arbeitszimmer bequem gemacht und leerte das nächste Bier. Neben dem Computer standen Mallorys Kaffeetasse und ein Teller mit den Resten eines bekömmlicheren Frühstücks. Es hätte ihn nicht gewundert, wenn sie ihr Bett hier hereingestellt hätte, um die Korkwand im Schlafen wie im Wachen immer vor sich zu haben.
»Kennt Charles die Wand?«
Sie schüttelte den Kopf und pinnte ein neues Blatt an die Korkunterlage. Windschief baumelte es an einer einzigen Nadel.
Was würde sich Charles wohl denken, wenn er diese schlampige Bescherung sah, die so gar nicht zu Mallory paßte? Und wußte er wohl, wie man mit dieser neuen Mallory umzugehen hatte, die mit jeder angepinnten Markiernadel ein bißchen klarer
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