Ein paar Leute suchen das Glück und lachen sich tot
Ekstase der Liebe hinterher. Damit etwas passiert, das mich aus der Gewöhnlichkeit meiner Gedanken hebt. Und rechtfertige wie alle: Die Liebe ist es doch, um die es geht. Es geht vermutlich um etwas ganz anderes.
VERA ist durcheinander
So durcheinander war Vera noch nie. Sie sitzt in ihrer leeren Wohnung. Sie sieht die Wand an. Die Wand sagt da nichts zu. Alle weg. Nora. Helge. Und Ruth ist tot. Vera denkt oft an Nora. Sie macht sich Sorgen. Die Sorgen sind da. Selbst wenn sie sich klarmacht, daß Nora so alt ist wie sie selbst. Als sie damals schwanger war und schon längst mit Helge zusammenwohnte. Vera denkt, wie alt sie sich damals fühlte. Und denkt, daß Nora sich bestimmt genauso alt fühlt. Aber Sorgen macht sie sich trotzdem. Da helfen auch die fast leeren Karten nix, die ab und zu von Nora kommen. Karten mit häßlichen Stranden drauf. Und Sonnen. Und nun ist auch Helge weg. Um ihn macht sie sich keine Sorgen. Da hofft sie eher, daß er nicht wiederkommt.
Vera sitzt da, sieht die Wand an und merkt, daß sie sich in ihrer Wohnung alt fühlt. Sie denkt an Pit und daran, daß sie bei ihm fast ihr Alter vergessen hatte. Vera merkt auch, daß sie Lust hätte, aus der Wohnung wegzugehen. Aus der Stadt wegzugehen. Irgendwohin. Um dort noch mal anzufangen. Sie hat in ihrem Büro angerufen. Es ist so egal, was sie dort macht. Es bedeutet nichts. Und deshalb geht sie dort nicht hin. Das Telephon klingelt. Vera hebt ab. Es könnte Helge sein. Es ist Pit. »Hey, du. Laß uns zusammen nach Amerika fahren. Wir könnten heiraten.« »Ich bin schon verheiratet«, sagt Vera. »O.K.«, sagt Pit, »dann laß uns eben einfach so nach Amerika fahren.« »Gut«, sagt Vera. »Wann fahren wir?« und »Wie wärs mit morgen?«
sagt Pit. »O.K.«, sagt Vera und legt auf. Dann geht sie zur Bank. Holt all das Geld, das sie gespart hat. Sie kauft sich ein paar neue Sachen, packt die in eine neue Tasche. Denkt noch mal an Nora. Denkt, daß die wirklich alt genug ist, um jetzt alleine weiterzumachen. Dann schließt sie die Tür. Läuft die Treppen runter. Unten bleibt sie noch mal stehen. Sie riecht. Und denkt sich: Diesen Dreck werde ich nie wieder riechen.
HELGE entdeckt den Tunnelblick
Das ist es. Du mußt den Blick eingrenzen. Der Blick darf nicht nach links und rechts abschweifen. Er darf nur er-fassen, was vor deinem Gesicht stattfindet. Die optimale Eingrenzung des Blickes findet nach fünf Gläsern Wein statt. Oder nach vier Gläsern Grappa. Wichtig ist, daß das optische Phänomen nicht verlorengeht. Es läßt sich durch weitere Gläser Wein oder Grappa stabilisieren. Mit der Eingrenzung des Blickes geht eine selektierte akustische Wahrnehmung einher. Nur wenige Worte erreichen das Ohr. Das Ohr bleibt weitgehend sauber. Nicht belästigt, vom Lärm, den Menschen machen. Das Auge bleibt rein, das Ohr bleibt rein. Du siehst das Glas vor dir, deine Hand.
Manchmal ein Gesicht, einen Pflasterstreifen. Du kannst darüber nachdenken. Mußt du aber nicht. Keiner zwingt dich, über deine Hand nachzudenken. Ein Blick in den Himmel. Du kannst ein Stück herausschneiden. Es ver-größern. Sieht aus wie Tapete. Es gibt nur Tapete. Die Realität wurde hergestellt von einem Tapetenhersteller, der über der Welt steht. Eine normale Größe hat. Er wechselt ständig seine Tapeten aus. Mal Himmel. Mal Venedig. Es gibt keine unterschiedlichen Orte. Nur unterschiedliche Zeiten, in denen ortgleich alles stattfindet. Noch einen Grappa. Meine Gedanken verirren sich. Denken nicht mehr an Zukunft und Vergangenheit, die Gedanken. Denken nur noch über das, was direkt jetzt vor den Augen stattfindet. Die Gedanken sind völlig von Gefühlen getrennt. Das ist eine wundervolle Erfahrung. Festzustellen, daß Gefühle immer durch Gedanken ausgelöst wurden.
Und nicht durch eine Realität. Durch Vor- oder Zurückge-danken. Die imaginäre Verluste beschreiben. Meine Gedanken gehen nur noch zentimeterweit. Und ziehen keine Gefühle nach sich. Durch die Eingrenzung des Blickes werden andere Menschen nur sehr vereinzelt wahrge-nommen. Vergleiche entfallen. Vorbilder entfallen. Es ist unwesentlich, was andere Menschen machen, wenn du diese Menschen nicht wahrnimmst. Der Blick ist nicht in der Lage, Bücher zu lesen. Einzelne Buchstaben ja. Bücher nein. Das Gehirn bleibt unberührt von den Einflüssen fremder Gedanken.
Ein normaler Tag für BETTINA
Ich habe nach dem Frühstück (ein Ei, ein Brötchen) ein Interview aufgeschrieben. Ein Gespräch mit einem
Weitere Kostenlose Bücher