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Ein paar Leute suchen das Glück und lachen sich tot

Ein paar Leute suchen das Glück und lachen sich tot

Titel: Ein paar Leute suchen das Glück und lachen sich tot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sibylle Berg
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Kopfes in den Zwischenraum der Heiz-rippen gequält. Wieder hochgerissen, an den Haaren. Daß Karl den Schmerz kommen fühlte. Der Schädel aufplatzte, beim neuerlichen Aufprall. Daß er schreien wollte, der Karl, aber das ging nicht, ging zu schnell, der Schrei kam da nicht nach. Daß dann Knochen ins Gehirn getrieben wurden, von dem Heizkörper, der Hand, die seinen Kopf darauf lenkte. Daß er Angst bekam, der Karl, nicht sterben wollte und merkte, daß es keine Flucht gab, sein Blut in seinen Mund floß. Aus dem Auge kam, das sah, das Auge, wie ein wenig Gehirn den Heizkörper entlanglief, Eigelb, will nicht sterben, dachte er kaum noch. Und das hätte Karl erzählen können. Konnte er aber nicht mehr. War ja tot, der Karl. Mit dessen Leiche Ruth dann über zwanzig Stunden in ihrem Zimmer gewesen war. Karl, der nicht mit Ruth schlafen wollte. Karl, dessen Bauch hing und der einen künstlichen Arm hatte. Karl, dem Ruth zu alt war.
    Und der ihre letzte Liebe gewesen war. Karl, der Ruth nicht geliebt hatte.
    HELGE ist immer noch nicht tot
    Am Tag lauft Helge durch die Stadt. Um sich müde zu machen. Um abends müde zu sein. So müde, daß er es endlich schafft, sich umzubringen. Läuft er durch die Stadt.
    Über Brücken. Am Wasser längs und denkt sich, Europa ist irgendwie zu langsam, echt zu alt. Überall auf der Welt sieht es allmählich gleich aus. Da sind Hochhäuser und Autos. Menschen mit Handys und alle haben eins gemein: sie wollen den Kapitalismus. Aber besser. Und schneller und eigentlich noch mehr als den Kapitalismus. Die Häuser sollen noch höher werden und das Geld noch mehr und egal, ob eines nach Hongkong fährt, nach Indien, Amerika, Korea, überall sieht es gleich aus. Nur in Europa noch nicht so richtig. Die haben es verschlafen. Werden untergehen in ihrem Brackwasser. Kein Mensch, der den Kapitalismus will und noch mehr als das, kann es sich erlauben. Siesta zu machen und andauernd Spaghettis zu essen.
    Kann es sich nicht erlauben, stundenlang in Cafes rumzuhängen und zu reden. Helge läuft durch die Stadt und fühlt nichts. Seine Augen sehen nichts, seine Nase riecht nichts und sein Bauch hat keinen Hunger. Er lauft herum und schleppt sein versautes Leben hinter sich her. Abends sitzt Helge in seinem kleinen Pensionszimmer. Das zum Hof hinausgeht und wirklich häßlich ist und überlegt, wie er sich umbringen könnte. Er fände es ziemlich gut, wenn die Decke auf ihn herunterstürzen würde, aber mit dem Kopf gegen die Decke zu springen ist eindeutig zuviel im Moment. Helge wünschte, er hätte ein ordentliches Problem. Eine Krankheit, einen Ruin, einen Menschen der ihn betrogen hat. Und nicht so eine Problemsoße, wie er hat. Sein Vater hat das, woran Helge sterben will, immer hausgemachte oder selbstgemachte Probleme genannt.
    Und die haben eigentlich nur Weiber. Und die sind nicht ernst zu nehmen. So hat Helge das auch immer gesehn.
    Und nie hat er über sich nachgedacht oder was er eigentlich will und nicht will, und jetzt sitzt er hier und will sterben und ist selbst dafür zu blöd. In sich hat er ein Gewirr von ganz vielen Problemknäueln und findet von keinem Anfang und Ende. Immer ganz kurz hat er so ein Ende: Ich mag mich nicht, ich kann nichts, wo ist der Sinn, ich liebe nicht, und dann sind die Enden auch schon wieder weg, ehe er sie richtig zu greifen bekommt. Der Helge. Schön blöd. Sitzt er jetzt in Italien rum und ist zu doof zum Sterben. Helge beschließt, sich heute wieder nicht umzubringen, sondern unten in der Bar noch was zu trinken. Und wie er so die Treppen runtergeht, denkt sich Helge, ob man sich eigentlich auch tottrinken kann. Und wenn ja, wie lange das wohl braucht.
    RUTH ißt was
    Morgen. Es ist sieben Uhr und du wachst auf. Es ist wie immer. Wie immer, jeden Morgen. Du ahnst die kommenden Morgen. Um sieben. Aufwachen. Die Augen ver-schliert, der Kopf schwer von einem Schlaf, der gar nicht nötig wäre, sich von nichts erholen muß. Wie immer. Das Aufwachen macht dich so müde, da glaubst du nicht mehr atmen zu können vor Müdigkeit, vor Langeweile kaum noch laufen zu können. Ins Badezimmer. Wo du ein Gesicht wäschst. Warum. Ziehst du dir Sachen an, setzt dich auf den Sessel und wartest. Irgend etwas ist anders heute.
    Wartest auf das Frühstück, auf das Mittagessen, auf das Abendessen. Was ist anders heute? Und dann guckst du in den Garten und weißt auf einmal, was anders ist. Du hoffst nicht mehr, daß etwas passiert. Du weißt. Es wird Früh-stück geben.

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