Ein paar Leute suchen das Glück und lachen sich tot
Mittag- und Abendessen. Und das war schon alles, was passiert. Und du hast keine Lust. Eben noch nicht mal mehr auf das Essen. Du verstehst, daß es eine Lüge ist, aufs Essen zu warten, um dir einzureden, es passiere etwas. Dich aufzuregen über kaltes Fleisch und pampige Kartoffeln genügt auf einmal nicht mehr. Und was anderes wird nicht mehr passieren. Das wird dir ganz klar, während du in deinem Sessel sitzt. Dann stehst du auf.
Siehst noch mal nach draußen. Und als du spürst, daß es auch da draußen nix, aber auch gar nix mehr gibt, was dich interessiert, gehst du ins Bad. Du schaust dir nochmal dein Gesicht an. Wem das gehört, ist egal. Und dann nimmst du eine Dose aus dem Schrank und ißt alle Tabletten auf, die in der Dose sind. Das ist dir ganz egal, was das heißen kann. Du schluckst alle. Trinkst Wasser nach. Selbst der Ge-schmack des Wassers langweilt dich. Und setzt dich wieder in den Sessel. Und wartest. Und endlich weißt du, worauf. Und als es dann kommt, und es kommt ganz langsam, ist wie müde werden. Und steigert sich schnell in etwas, das wie Blei deinen Körper ausgießt, dann willst du vielleicht umkehren. Zurück. Weil alle Langeweile ist besser als das Schwarz, was in deinen Füßen aufsteigt, schon bis zur Brust gekommen ist. Aber es geht nicht umzukehren.
Blei im Körper. Eine Panik kommt dann, die größte Angst kommt dann, die du jemals erlebt hast. Und du siehst die Kälte kommen. Die Einsamkeit, die macht deinen Körper zittern. Und ganz klar siehst du noch, wie du gleich in einer Holzkiste liegen wirst. Feuer nach deinem Fleisch greift. Und hast Angst. Angst. Und zurück geht nicht.
NORA verabschiedet sich
Es war kalt damals. Herbst und so ein Wetter, wie das nur Herbste draufhaben. Baumblätter lagen ertrunken in Pfützen, und ein Nordost blies durch die kahlen Zweige. Ich stand auf der Straße und weinte. Ich sah auf das Licht, das aus der Wohnung meiner Eltern kam, ganz gelb und warm, ich wußte, daß da mein Bett stand, und ich weinte noch mehr, denn ich war sechs und mir war verdammt klar, daß ich da nicht mehr hingehörte. Ich würde alleine auf der Straße bleiben, mich mit nassem Laub decken, um am nächsten Morgen auf einem Schiff anheuern. Ich habe vergessen, warum ich von zu Hause wegwollte. Aber ich erinnere mich, daß Kinder sehr unglücklich sein können.
Vielleicht unglücklicher als erwachsene Menschen, weil sie nicht wissen, was das für ein Schmerz ist, der mit der Trauer kommt, und ob der nicht vielleicht für immer bleibt.
Herbst war es, und ich ging langsam ein paar Schritte weg von dem Licht, von dem Haus, und ich machte mein Gesicht ganz fest. Und dann war da auf einmal dieses Schaf.
Von Gott geschickt oder von grausamen Eltern aus dem Stall getrieben, lag es auf der Straße. Dreckig und unge-liebt. Ich hob das Tier auf und so standen wir da rum, in der Nacht. Das halbblinde Stoffschaf und ich. Viel später sind wir mit dem letzten Stolz, den wir noch hatten, in die Wohnung der feindlichen Eltern zurückgekehrt. Natürlich nur, weil das Schaf so fror. Ich denke mal, mein Leben wäre ohne das Tier in eine andere Richtung gelaufen. In den Jahren später, wollte ich immer mal wieder alles hinschmei-
ßen. Ein neues Leben anfangen, irgendwo, wo mich keiner kennt. Ich habe es nie getan. Weil mich immer dieses verfluchte Schaf warnte, und eigentlich habe ich nur wegen ihm kein mutiges, verrücktes Leben geführt. Talismänner machen so etwas. Das ist ihre Bestimmung. Sie zwingen Menschenleben in die feige Bedeutungslosigkeit, weil sie ihren Besitzer immer an Situationen erinnern, in denen sich überlegtes Handeln bewährt hat. Oder sie verführen ihren Inhaber zu einer unangemessenen Waghal-sigkeit. Weil sie ihn in falschem Schutz wiegen. Egal, immer gaukeln Fetische dem Besitzer etwas vor und verlei-ten ihn zur Verantwortungsabgabe. Sie bringen Millionen Menschen dazu, häßliche Stofftiere, blöde Ketten und aus-getretene Stiefel von einem Ort zum anderen zu schleppen, Jungfrauen zu opfern und Kriege zu führen. Und all die Fetische lachen leise über unsere Dummheit. Guckt mal die Menschen an, kichern sie, die schleppen uns rum, umtanzen uns und verehren uns nur, um sich einzureden, daß säe nicht allein sind, auf dieser Welt, und daß sie Glück haben. Und wissen doch nicht, daß sie immer allein sind und Glück eine Illusion ist. Das Schicksal läßt sich nicht durch Schafe bestechen, das ist die Wahrheit. Aber die will keiner sehen. Wir brauchen
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