Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ein paar Tage Licht

Ein paar Tage Licht

Titel: Ein paar Tage Licht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Bottini
Vom Netzwerk:
war man der Ansicht, dass Benmedi keine Kinder hatte, folglich konnte er auch keine Enkel haben.
    »Mein algerischer Enkel.«
    Der Junge nickte. Schulterlange Haare verbargen das Gesicht zu drei Vierteln. Er versteckte sich gern dahinter, war noch nicht so weit, dass er dem Leben schutzlos entgegentreten konnte. »Spielt er auch Fußball?«
    »Als Kind hat er gespielt. Wie es heute ist, weiß ich nicht. Ich habe seitdem nichts mehr von ihm gehört.«
    »Erkennst du ihn dann überhaupt?«
    Benmedi lachte. »So viele Algerier gibt es nicht in Pessin.«
    Er stand auf, winkte Robin an den Straßenrand, sie konnten auch hier ein wenig kicken. Feierlich schritten sie auseinander, Duellanten vor der entscheidenden Konfrontation, dann schossen sie sich den Ball aus zehn Metern Entfernung zu. Benmedi begann zu summen, trippelte nach rechts, nach links, Innenrist, Außenrist, die alten Füße machten noch immer alles mit.
    »Wann erzählst du mir von deinen Spielen?«, rief Robin.
    »Ach, das ist so lange her, ich habe alles vergessen.«
    »Aber du hast es mir versprochen.«
    »Wirklich? Na, vielleicht beim nächsten Mal.«
    »Das sagst du immer.«
    »Ist das so?«
    »Wahrscheinlich stimmt es ja gar nicht.«
    »Was soll nicht stimmen?«
    »Dass du in eurer Nationalmannschaft gespielt hast.«
    Benmedi stoppte einen härteren Schuss, auch das verlernte man nie. »Natürlich stimmt das! Ich war Verteidiger in der ersten algerischen Nationalmannschaft. Glaubst du mir etwa nicht?«
    »Ich weiß nicht.«
    Benmedi lupfte den Ball, ließ ihn vom Fußrist nach oben prallen, einmal, zweimal, dreimal, fing ihn mit der Hand.
    »Das kann jeder«, sagte Robin.
    Benmedi musterte ihn. Na gut, dachte er. Er hatte Beweise. Einen Beweis. Ein Foto von 1958.
    So also endete es, das Leben – indem es von vorn begann.
    Sie saßen wieder auf der Bank, blickten auf das Schwarz-Weiß-Foto, das er seit Jahrzehnten nicht in den Händen gehalten hatte. Sein Finger wanderte über die zwölf stehenden und knienden Spieler, ein paar Namen hatte er vergessen, doch an die meisten erinnerte er sich. Rachid Mekhloufi von Sainte-Étienne, der war sogar französischer Nationalspieler gewesen, genauso der große Mustapha Zitouni vom AS Monaco, den hatte Real Madrid haben wollen, stell dir das vor, ein Algerier für Real! Der Kräftige im schwarzen Trikot, das war Boubekeur, der Torwart, ebenfalls Monaco, und der links mit dem schmalen Schnauzer Kermali von Olympique Lyon. Alle hatten ihre französischen Klubs 1958 heimlich verlassen, um für Algerien zu spielen, weißt du, sie hatten sich entscheiden müssen, Frankreich oder Algerien, wie heute der Özil, der Sahin, Deutschland oder Türkei, na ja, fast.
    »Und ihr habt wirklich 11   :   0 gegen Jordanien gewonnen?«
    »Beinahe sogar 12   :   0. Ich wurde in der 83. Minute eingewechselt und hätte auch fast ein Tor geschossen.«
    »Cool, als Verteidiger.«
    »Eigentlich war ich Stürmer, aber da bei uns fast jeder Stürmer war, wurden ein paar zu Verteidigern umgeschult. Wir waren eine gute Mannschaft. Im Irak haben wir 10   :   1 gewonnen und in Nordvietnam 7   :   1.«
    »Hast du auch mal gegen uns gespielt?«
    »Nein. Algerien hat erst gegen Deutschland gespielt, als ich nicht mehr dabei war.«
    »1982 bei der WM . Ihr habt 2   :   1 gewonnen.«
    »Und 1964, da haben wir auch gewonnen, 2   :   0, ein Freundschaftsspiel in Tunesien.«
    »Ihr habt zweimal gegen uns gespielt und immer gewonnen?«
    »Mach dir nichts draus. Heute ist Algerien nicht mehr gut, und Deutschland wird bald Weltmeister.«
    Robins Finger schob seinen beiseite. »Das bist wirklich du?«
    »Ja, das bin ich.«
    Benmedi blickte auf den Dreiundzwanzigjährigen, der neben Abdelhamid Bouchouk vom FC Toulouse stand, stolz die Arme vor der Brust verschränkt hatte, man konnte den wenige Monate alten Ehering erkennen. Ein halbes Kind, dachte er, und hatte damals doch schon Blut an den Händen gehabt. Hatte Bomben gelegt, Autos in die Luft gesprengt, französische Polizisten und Soldaten getötet. Französische Zivilisten.
    Hatte am 30.   September 1956 eine für die »Milk Bar« bestimmte Bombe in eine Handtasche gebettet – drei Tote, zwölf Verletzte, weitere kamen dazu bis zum 19.   Mai 1961, jenem Tag, der alles änderte. Blutverschmiert lag dieselbe Hand, die den Fotoapparat auf ihn, Zitouni und die anderen Spieler gerichtet hatte, in seiner, zuckte in Krämpfen, die sich in seiner Hand, in seinem Arm fortsetzten, in seinem

Weitere Kostenlose Bücher