Ein paar Tage Licht
Richters Frau hatten Visa bekommen, würden am Nachmittag des nächsten Tages in Algier eintreffen.
»Die Algerier werden sie nicht nach Constantine lassen«, sagte Eley.
»Ich weiß. Sie werden sich Algier ansehen. Das Haus, in dem Camus lebte. Das Haus, in dem die Bardot wohnte. Den Knast, in dem Cervantes eingebuchtet war.«
Eley kicherte lustlos. Hatte Reiseführer gelesen, der Chef.
»Vielleicht diese tollen römischen Ruinen in … in …«
»Tipasa.«
»Tipasa, ja.«
»Was werden sie noch machen, Harry?«
»Na ja, Frau Richter würde natürlich schon ganz gern mit dir zur DDSE fahren, selbst mit den Verantwortlichen sprechen und so. Wäre wichtig, Ralf, das weißt du selbst. Die Algerier sehen eine in Tränen aufgelöste Ehefrau und nehmen sich vor, alles dranzusetzen, dass sie nicht als Witwe in die Heimat zurückkehren muss.«
Eley seufzte. »Wir werden sehen.«
»Hab ich schon erwähnt, dass die Töchter mitkommen?«
»Nein.«
»Na, jetzt hab ich’s erwähnt.«
Eleys Blick glitt zum Fenster, das Geprassele war vorbei, der Hagel versiegt. Über die Scheibe mäanderten Wasserlinien, dahinter die verschwommenen Lichter der Büros jenseits des Palmenhofs. Er bekam Lust auf eine Zigarette im Hof, rauchen und allein sein, der Freude auf den Abend nachspüren, die schon den ganzen Tag lang unter seiner Haut kribbelte.
Montagabend, Essen mit Amel.
Du erinnerst dich, Harry, die Frau mit dem Namen, der so gar nicht zu ihr passt.
»Also dann, Harry.«
»Nicht auflegen«, sagte Landrich. »Lass uns plaudern.«
Eley stellte auf Lautsprecher, trat zum Aktenschrank und öffnete den kleinen Tresor. Eine Walther P5, eine Heckler & Koch P2000, für alle Fälle. Der Anschlag auf das amerikanische Konsulat im libyschen Bengasi im Vormonat hatte auch die Diplomaten in Algier alarmiert. Er entschied sich für die HK .
»Keine Zeit«, sagte er.
»Du bist schon wieder wütend.«
»Noch nicht.«
»Ermittelst du, Ralf?«
Er schloss den Tresor, setzte sich, griff nach dem Hörer. »Nein. Ich hocke in meinem Büro auf meinem Arsch.«
»Und tust was?«
»Und telefoniere mit meinem Chef.«
Landrich kicherte. »Soll ein umgänglicher Mensch sein, dein Chef.«
»Meistens. Manchmal nervt er.«
»Wie alle Chefs und alle Mitarbeiter.«
Ein sanfter elektronischer Gong erklang.
»Bonnnng«, sang Landrich nach.
»Bis morgen«, sagte Eley und legte auf.
Die E-Mail, auf die er gewartet hatte, von Steve, Betreff: Book .
Er griff nach der Jacke.
Die Aufnahmen aus Constantine.
19
NAHE REIMS, FRANKREICH
Sie waren von Tigery aus nordwärts gefahren, dann nach Osten in Richtung Reims. Aziz rauchte viel, lachte viel, die Hände immer in Bewegung. Sie sprachen über Belangloses, der Wagen war gemietet, doch man wusste nie. Was es zu sagen gab, sollte nicht hier drinnen ausgesprochen werden.
»Ein paar Wochen war ich mit ihr zusammen, Djamel, dann konnte ich nicht mehr, sie wollte es jeden Tag fünfmal, sechsmal, ich bitte dich, das schafft keiner! Jetzt habe ich wieder eine Neue, eine Politikstudentin aus Indien, Amita. Sehr clever, süße indische Titten. Mit der lasse ich’s langsam angehen. Und bei dir?«
Djamel lächelte nur, wie immer, wenn Aziz diese Frage stellte.
»Mich mögen die Frauen«, sagte Aziz, »aber dich lieben sie.« Er zündete die nächste Zigarette an der vorherigen an, stieß Rauch aus, während er die Kippe aus dem einen Spalt geöffneten Fenster warf. »Sie lieben dieses Melancholische, dieses Unzähmbare. Sie sehen dich an und glauben, du galoppierst auf schwarzen Pferden durch die Wüste, das Gewehr in der Hand, und wenn es dunkel wird, legst du dich zu den Schlangen und Skorpionen in den Sand und schaust zu den Sternen hoch und denkst dir Gedichte aus für eine schöne Targia am Wegesrand.«
Sie lachten.
»Dabei suchst du deinen Vater, da oben bei den Sternen … Vor ein paar Wochen war ich im San Siro, Djamel, dem echten, der AC Milan hat gespielt, und ich musste die ganze Zeit an unser kleines San Siro in Bologhine denken, und wie wir ihm über die Mauer geholfen haben, dem dicken Mouloud Benmedi. Ach, Bologhine … Manchmal wünsche ich mir die einfachen Tage der Kindheit zurück, aber dann fällt mir ein, dass es auch damals selten einfache Tage gegeben hat.«
Ja, dachte Djamel, wer Anfang der achtziger Jahre in Algerien geboren worden war, hatte kaum einfache Tage erlebt. 1988 der Streik der Schüler, der zu den Oktoberunruhen mit Demonstrationen, Brandanschlägen, Hunderten
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