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Ein paar Tage Licht

Ein paar Tage Licht

Titel: Ein paar Tage Licht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Bottini
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Freie.

23
    ALGIER
    Die Geschäfte in der Rue Didouche Mourad waren geschlossen, die Atmosphäre verändert, angespannt wie immer, wenn sich der Abend über Algier senkte. Auf den Gehsteigen und Straßen überwogen jetzt die Männer, in zwei Stunden würden sie unter sich sein, einzeln oder in Gruppen an den Hauswänden stehen, »Mauerstützer« im Volksmund, die meisten zwischen zwanzig und dreißig und arbeitslos, verbrachten ihre Tage und Abende und besten Jahre an den Mauern von Alger Centre.
    Eley bog ab, stieg glitschige Treppenstufen in eine kaum beleuchtete Seitenstraße hinunter. Die steilen Gassen der Stadt in Richtung Bucht kamen ihm wie tiefe Falten in einem Gesicht vor, Algier mit seinen Hügeln, Senken, Einkerbungen – ein zerfurchtes Antlitz voller Wunden, fahl und müde und uralt.
    Zwei gelangweilte Polizisten am U-Bahn-Zugang, er spürte ihre Blicke im Rücken, als er vor dem »Zohra« stehen blieb. Die Tür war verschlossen wie bei allen Restaurants, die Alkohol ausschenken durften. Er klingelte, musste schmunzeln, als sich ein Fensterchen im Türblatt öffnete, viel Bart und Brauen, dazwischen abgrundtief böse schwarze Augen.
    »Bonsoir, Faruk.«
    »Monsieur Eley, bonsoir, ça va?«
    Die Tür schwang auf, seine Hand verschwand in Faruks Pranken, wurde gegen den prallen Bauch in Hemd und Dienstweste gedrückt. Er ging die Stufen in den Gastraum hinunter. Die Wände mit dunkelrotem Samt ausgekleidet, zahllose kleine Gemälde mit algerischen Motiven, Pflanzen, die Tische voller Tand, die Farben zu intensiv, von allem zu viel.
    Derselbe Tisch wie immer, links der Durchgang zu Toiletten und Innenhof, rechts ein mannshoher Paravent aus besticktem Stoff als Raumteiler. Als er sich setzte, hörte er seinen Namen, hinter dem Bartresen winkte Madame Zohra, eine Frau in den späten Sechzigern, gefärbtes Haar, gefärbtes Gesicht, bunte Gewänder umwallten sie, der eine oder andere falsche Edelstein blitzte auf. Eine resolute grande dame der algerischen Gesellschaft mit FLN -Familienstammbaum, in dem ungeheuerliche Namen verzeichnet waren – eine ihrer Tanten angeblich Zohra Drif, die die Bombe in der »Milk Bar« platziert hatte. Ins »Zohra« trauten sich auch Frauen, mit und ohne Kopftuch, allein oder in Begleitung, Madame hielt die kampferprobten Hände schützend über sie.
    Er winkte zurück.
    Ein Kellner zündete die Kerze an, brachte Brot und Olivenöl, Rotwein, alles wie immer am Montagabend, bis auf die Angst.
    Die Angst, dass ihn auch Amel belog.
    Sie kam eine Viertelstunde später, wie immer mit Laia, einer älteren Kollegin. Ein kurzer, heimlicher Blick, dann setzte sie sich an den Tisch auf der anderen Seite des Paravents, schwarze und dunkelrote Rosetten legten sich über ihr helles Gesicht.
    Laia sprach mit gesenkter Stimme, hatte irgendeine längere Erzählung noch nicht beendet. Sie saß vornübergebeugt, mit dem Rücken zu ihm, der graue Schopf zuckte vor und zurück wie bei einer aufgebrachten Taube. »Aber das geht doch nicht!«, sagte Amel auf Französisch.
    Eley lächelte, wusste nicht, warum.
    Er begann sich zu entspannen.
    Kurz darauf trafen die beiden anderen ein, Dinah und Naoual, Juristin die eine, Politikwissenschaftlerin die andere. Naoual, Ende dreißig, hatte die Scheidung gewagt, hatte versucht, allein zu leben. Mittlerweile war sie zu ihren Eltern zurückgekehrt, die Anfeindungen waren zu empörend und bedrohlich gewesen.
    Die Minuten verstrichen, gelöste Stimmen, im schnellen Wechsel Algerisch und Französisch, Lachen, Kleidung raschelte, unterschiedliche Parfüms drangen an Eleys Nase, klar und kühl der Duft von Amel, warm ihre Stimme, ein wenig lauter als die der anderen, damit er jedes Wort verstand.
    »Und Essaouira?«
    »War traumhaft, wirklich traumhaft.«
    »Was hast du denn in Essaouira gemacht?«
    »Also, den ganzen Tag in Konferenzräumen hocken, na, ich weiß nicht …«
    »Ach, die Konferenz, ehrlich gesagt …«
    »Was hat Amel in Essaouira gemacht? Welche Konferenz?«
    »›Ehrlich gesagt‹, was heißt denn das nun wieder?«
    »Stimmt, du warst krank letzten Montag … Sie haben mich auf eine Konferenz in Essaouira geschickt, es ging um die internationale …«
    »Also, ›geschickt‹ ist gut, sie hat darum gebettelt, weiß der Himmel, warum, so toll ist Marokko auch nicht.«
    »Na ja, ich musste mal wieder raus.«
    »Internationale was?«
    » Du führst ein Leben, chérie, gestern Essaouira, morgen Tamanrasset …«
    »Erzählt es ihr, ja?

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