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Ein paar Tage Licht

Ein paar Tage Licht

Titel: Ein paar Tage Licht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Bottini
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die Harkis?«
    »Die Harkis, andere. Die politischen Gefangenen, die Gefolterten, die Familien der Ermordeten. Die Kabylen, die Tuareg, die Bärtigen. Alle hätten Gründe genug. Aber wenn wir die neue Epoche mit Rache beginnen, werden wir scheitern. Aus Rache entsteht keine Demokratie.«
    Djamel nickte, wandte den Blick nach vorn.
    »Keine Lynchjustiz, keine Generalamnestie, keine Militärgerichte. Wir stellen die, die Verbrechen begangen haben, vor zivile, demokratische Gerichte. Wir arbeiten die Vergangenheit auf demokratische Weise auf. Der zweite algerische Frühling, Djamel … Diesmal wird es gelingen!«
    »Man kann keinen demokratischen Krieg führen, Aziz.«
    »Nein, aber wir werden nicht foltern, nicht vergewaltigen, keine Zivilisten ermorden. Eine Revolution auf Basis der Genfer Konventionen und des Haager Rechts!« Aziz’ Stimme war voller Begeisterung, er schlug mit beiden Händen aufs Lenkrad, Zigarettenglut stob aufs Armaturenbrett.
    Djamel lächelte. Aziz, der Idealist, der Theoretiker, so mitreißend in seiner romantischen Energie. Wollte nicht wahrhaben, dass auch sie nicht ohne Gewalt auskamen. Dass sie einen Menschen entführt und in einen Raum ohne Licht gesperrt hatten, um Informationen zu bekommen. Er tätschelte ihm den Oberschenkel. »So wird es geschehen, Aziz.«
    Sie hatten die Autobahn verlassen, folgten einer Landstraße, kamen durch kleine Dörfer, auch hier ein Licht neben dem anderen. Väter brachten ihre Kinder zu Bett, erzählten ihnen Geschichten, später saßen sie ermattet auf weichen Sesseln, um endlich Zeitung zu lesen, schliefen ein, die Füße in felligen Hausschuhen.
    Sieh dir den an, Djamel, nach acht ist er zu nichts mehr zu gebrauchen, der Herr des Hauses.
    Er ist eben müde.
    Müde? Wovon? Sag mir das, du Sohn eines Nichtsnutzes!
    Von der Enttäuschung. Die aus Bab el Oued haben gewonnen.
    »Und einer der Ersten, die wir vor Gericht bringen«, sagte Aziz, »wird Ibrahim Soudani sein. Das verspreche ich dir.«
    »Ich kann den Tag kaum erwarten.« Djamel drehte den Kopf zur Seite, blickte auf die kleinen, vorbeihuschenden Lichter.
    Soudani würde nie der Prozess gemacht werden. Er würde vorher sterben.
    Djamel hatte seine Rache zurückgestellt, um die Bewegung nicht zu gefährden. Nun wollte es der Zufall, dass er Soudani an einem Ort begegnen würde, wo er, anders als in Algier, nicht von Sicherheitsleuten umgeben und deshalb leichter zu töten sein würde.
    In Deutschland.
    Als sie das Dorf erreichten, in dem sie übernachten würden, änderte sich die Atmosphäre abrupt. Dabei sah es aus wie all die anderen Dörfer. Kleine, erleuchtete Häuser entlang der Durchgangsstraße, die schmalen Seitensträßchen still, kaum Autos unterwegs, ein Fußgänger mit zwei Hunden. Und doch war hier etwas anders. Nichts, was zu sehen gewesen wäre, nur ein unbestimmtes Gefühl. Djamel spürte das Heimelige, Gemütliche nicht mehr.
    Hamza aus Oran, dachte er. »Wo wohnt er?«
    »Ein paar Hundert Meter außerhalb.«
    »Erzähl mir von ihm.«
    Hamza war Mitte vierzig, ehemaliger Fallschirmjäger der algerischen Armee, in den neunziger Jahren desertiert, weil er die offizielle Politik der éradication , der Ausrottung der Islamisten, nicht mehr mitmachen wollte. Über Tunesien war er nach Italien geflohen, hatte dort eine Weile gelebt, dann in Paris. Schließlich hatte er eine Französin geheiratet und einen Sohn mit ihr bekommen. Er verfügte über zahlreiche Kontakte zu den Algeriern in Italien, wo etwa fünfzigtausend Landsleute lebten, hatte dort Kämpfer für die Revolution rekrutiert.
    »Wann hast du ihn zum letzten Mal gesehen?«
    »Vor ein paar Wochen.«
    »Und telefoniert?«
    »Vor zwei, drei Tagen. Warum?«
    »Irgendetwas stimmt nicht.«
    Aziz räusperte sich, verzog das Gesicht. »Was heißt das, irgendetwas stimmt nicht?«
    Djamel zuckte mit den Schultern.
    Sie näherten sich dem Ende des Dorfs, die Straße führte in einen Wald.
    » Was stimmt nicht, Djamel?«
    »Ich weiß es nicht.«
    Die letzten Häuser, dann verschwand das Land zu beiden Seiten in der Nacht. Der Wald begann. Nach wenigen Minuten bremste Aziz und bog ab in eine geteerte, aber einspurige Straße.
    »Ich gehe davon aus, dass du ihm vertraust«, sagte Djamel.
    »Hundertprozentig.«
    »Wie deinem eigenen Bruder?«
    Aziz grinste. »Richtig.«
    »Du könntest dich täuschen.«
    Aziz warf ihm einen Blick zu, murmelte: »Was hast du nur? Kommst nach Frankreich und stellst alle infrage, die ich ausgewählt habe.

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