Ein paar Tage Licht
sind in Schützenvereinen, aber nicht viele, es wäre zu auffällig. Das Schießen müssen wir ihnen also noch beibringen.«
»Wir haben Ausbildungslager in Ägypten, Libyen und Marokko«, sagte Djamel. »In Algerien bei unseren Tuareg.«
Aziz kam zurück, leise hustend, setzte sich.
Hamza fuhr fort. »Wenn es so weit ist, reisen wir einzeln und in kleinen Gruppen, schlage ich vor. Die besten Routen überlegen wir kurz vorher. Libyen vielleicht. Mali wird nicht mehr möglich sein.«
»Mach dir wegen der Routen keine Gedanken«, sagte Djamel.
»Wir kümmern uns darum«, erklärte Aziz. Er selbst, Hamza, die anderen Gruppenführer aus Frankreich, Kanada, Spanien, England, Italien, Belgien, Deutschland würden sich zu gegebener Zeit in Paris treffen. Jemand, der wisse, auf welchen Wegen die Emigranten zu welchem Zeitpunkt unauffällig einreisen könnten, werde sie instruieren. Auch die Größe der einzelnen Gruppen und ihre Tarnung würden dann festgelegt. »Wir sind vorbereitet. Wir haben …«
Djamel unterbrach ihn. »Noch nicht, Aziz. Es reicht, wenn Hamza in Paris mehr erfährt.«
Hamza schmunzelte.
»Wie viel weiß deine Frau?«
»Nichts.« Hamza stellte die Weinflasche in ein Regal, holte sich ein Glas Leitungswasser, lautlos setzte er sich. »Es ist gefährlich, wenn die, die man liebt, zu viel wissen.«
»Weil sie einen verraten könnten?«
»Wenn sie unter Druck gesetzt werden, ja.«
»Wann wirst du es ihr sagen?«
»Wenn alles vorbei ist. Und irgendwann später …« Er wandte den Kopf, blickte für einen Moment schräg nach oben, von wo sie Noureddine poltern, die Frau lachen hörten. »Irgendwann später werde ich die beiden nachholen.«
An Hamzas plötzlich müden Augen erkannte Djamel, dass dies nie geschehen würde. Die Frau war Französin, der Junge ging hier zur Schule. Hamza würde seine Familie für Algerien verlassen.
Auch Noureddine würde ein Namenloser werden.
Später stiegen sie die schmale, steile Treppe hinauf. Ein kleiner, stickiger Flur, der Teppich ausgetreten, die Ränder eingerissen. Durch eine halb geöffnete Tür drang aufgeregtes Wispern, Hamzas Frau antwortete ruhig und ebenso leise.
Djamel berührte Hamzas Arm. »Ich möchte deinem Sohn gute Nacht sagen.«
Der Junge lag im Elternbett, die Frau saß neben ihm. Beide blickten ein wenig furchtsam drein, als sie eintraten.
»Gute Nacht, Noureddine.«
»Ja«, sagte Aziz, »auch von mir.«
Der Junge sah den Vater an, die Mutter, die ihm etwas zuflüsterte, schließlich murmelte er: »Gute Nacht.«
»Danke, dass ich in deinem Zimmer schlafen darf«, sagte Djamel.
»Ja«, sagte Noureddine.
Hamza zeigte ihnen das Bad, die Zimmer, am Ende des Flurs zwei Türen, links Aziz, rechts Djamel.
»Kein Balkon«, sagte Aziz, im Gästezimmer stehend.
»Nein«, entgegnete Hamza, »du musst vor die Tür. Vergiss nicht, wieder abzuschließen.«
Im Kinderzimmer war es kalt, die feuchte Luft roch nach Laub. Ohne das Licht einzuschalten, ging Djamel zu einem der beiden Fenster. Dreißig Meter weiter begann der Wald, von dort hatten sie das Haus beobachtet. Er wechselte zum Fenster an der Frontseite, sein Blick folgte dem Verlauf der Straße. Gegenüber von Hamzas Haus eine Wiese, die einhundert Meter weiter am Wald endete. Nichts, was das Unbehagen erklären würde.
Er legte die Hand an die Wand zu Aziz’ Zimmer.
Nein. Undenkbar. Sie waren seit zwanzig Jahren Freunde.
Er kniete nieder, um zu beten, anschließend zog er sich aus und legte sich ins Bett. Erst jetzt bemerkte er die Wandtattoos, um ihn herum lauter Fantasy- und Science-Fiction-Figuren, bunte Wesen in traumartigen Landschaften. Beide träumten von der Zukunft, der Sohn und der Vater.
Als er die Augen schloss, sah er andere Wände, grauweiß, rissig, mit Feuchtigkeitsflecken, und unmittelbar neben seinem Bett einen Vorhang, der so schwer war, dass ihn kein Luftzug bewegen konnte. Dahinter die ganze Nacht lautes Schnarchen, der Vater, leises Schnarchen, die Mutter, und manchmal Stille bis auf ein heiseres Brummen, wenn der Vater der Mutter zeigte, dass er sie lieber mochte als alle anderen Frauen der Welt.
Dann machst du so? Chrrrr – chrrrr – a-h-arrrr?
Hahaha! Genau so!
Und das versteht die Mama?
Glaub mir, das versteht sie. Das verstehen alle Frauen.
Aber wenn man ihnen sagt, dass man sie lieber mag als alle anderen, das verstehen sie nicht?
Worte sind kompliziert, Djamel, sie bedeuten für eine Frau oft etwas ganz anderes, als man gesagt hat, weil sie
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