Ein Pakt mit dem Teufel: Roman (German Edition)
sie nich’ einfach selber?«, konterte sie. Ihr Ton enthielt keine Kritik, nur Verständnislosigkeit und wachsende Neugier.
Darauf war er vorbereitet. »Wir können sie nicht finden. Anscheinend ist sie verschollen.«
Ihre Augenbrauen wanderten nach oben. »Verschollen? Seit sie hier vor fünfzehn Jahren eingezogen is’, is’ sie nie weg gewesen. Wohin sollte sie auch gehen? Sie hat ja niemanden.«
Monks innere Anspannung nahm zu. »Wie lebt sie, Mrs Scalford? Wovon lebt sie? Arbeitet sie in einem Geschäft oder einer Fabrik?«
»Nein. Das weiß ich, weil sie meistens daheim is’. Was sie macht, weiß ich nich’, nur dass sie nich’ bettelt und andere um Gefälligkeiten bittet.« Sie erklärte das mit leicht vorgerecktem Kinn, als identifizierte sie sich mit dem Stolz, der hinter Mrs Gadneys Haltung stecken mochte. »Und soviel ich weiß, schuldet sie auch keinem was«, fügte sie mit einem Nicken hinzu.
Monk musterte die alte Dame aufmerksam und stellte sich dem Blick aus ihren ausgeblichenen blauen Augen, ohne mit der Wimper zu zucken. Falls Zenia Gadney eine Prostituierte gewesen war, bestand dann die Möglichkeit, dass die alte Frau nichts mitbekommen hatte? Nein, viel wahrscheinlicher war es, dass sie den Ruf einer Nachbarin schützte, unter Umständen einer Frau, die sie in mancher Weise an sie selbst erinnerte, wie sie vor dreißig Jahren gewesen war.
»Bewundernswert«, lobte er in ernstem Ton. »Wissen Sie von irgendwelchen Angehörigen, die sie hat?« Er verwendete ganz bewusst die Gegenwartsform, als wäre Zenia noch am Leben.
Mrs Scalford nippte nachdenklich an ihrem Tee. »Da gab es einen Mann«, antwortete sie schließlich. »Kam bis vor zwei Monaten regelmäßig zu ihr. Ich weiß nich’, ob’s ein Bruder war, oder der Mann, der Bruder vom Mann oder sonst was. Möglich, dass er sich um sie kümmerte.«
»Aber vor zwei Monaten hat er seine Besuche eingestellt?«, fragte Monk nach. Unwillkürlich beugte er sich etwas vor.
»Hab ich das nich’ gerade gesagt?«
»Wissen Sie, warum?«
»Ich hab’s Ihnen doch erklärt, junger Mann. Ich kenn sie nich’ so gut, dass ich sie nach ihren Angelegenheiten frage. Ich seh nur die Leute hier in der Straße kommen und gehen. Ich hab mich mit ihr vielleicht ein halbes Dutzend Male unterhalten. Guten Morgen, schönen Tag noch, solche Sachen eben. Ich seh sie vorbeigehen und weiß, wie sie sich fühlt, weil man so was am Gesicht eines Menschen erkennt.«
»Und wie fühlte sie sich, Mrs Scalford?«
»Meistens weder gut noch schlecht.« Die alte Dame seufzte. »Wie die meisten, nehme ich an. Manchmal hatte sie ein wirklich schönes Lächeln. Ich denke, sie war richtig hübsch, als sie jünger war. Jetzt hat sie einen leicht müden Ausdruck. Is’ wohl bei uns allen so.« Unbewusst strich sie ihr eigenes weißes Haar glatt.
»Und in den letzten zwei Monaten?«, fragte Monk.
»Sie meinen, seit er aufgehört hat, zu ihr zu kommen? Traurig. Schrecklich traurig war sie, das arme Ding. Ich hab sie hier mit hängendem Kopf vorbeigehen sehen. Und sie hat die Füße über die Erde schleifen lassen, als hätte sie allen Lebensmut verloren.«
»Könnte es jemand gewesen sein, der ihr nahestand?«
Sie blickte ihn aus halb zusammengekniffenen Augen an. »Wieso wollen Sie das alles wissen? Sind Sie hinter was Bestimmtem her? Was hat sie überhaupt mit der Wasserpolizei zu tun? Haben Sie nich’ genug Verbrechen am Fluss?«
»Sie ist verschollen, Mrs Scalford«, stieß Monk grimmig hervor. »Und wir haben die Leiche einer Frau gefunden, von der wir glauben, dass es ihre sein könnte.«
Die alte Frau wurde blass, und ihre Schultern erstarrten, als wagte sie kaum noch zu atmen.
»Es tut mir leid«, entschuldigte er sich und meinte es aufrichtig. »Wir könnten uns auch getäuscht haben.« Er zog die Zeichnung des Constable aus der Innentasche seiner Jacke, entfaltete sie und reichte sie ihr.
Sie hielt sie mit ihren leicht zitternden, knotigen Fingern.
»Das is’ sie«, flüsterte sie mit rauer Stimme. »Armes kleines Ding! Was hat sie getan, dass einer sie derart zerstückelt?« Ihre Stimme wurde noch leiser. »Das hier is’ doch die Frau, über die wir sprechen, nich’ wahr? Is’ das diejenige, die sie aufgeschlitzt und auf dem Pier haben liegen lassen?«
»Ich fürchte, ja. Ist das Zenia Gadney?«
»Ja, das is’ sie.« Sie blickte zu ihm auf. »Sie werden doch den Kerl, der ihr das angetan hat, schnappen und hängen, oder?« Das war keine bloße
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