Ein Pakt mit dem Teufel: Roman (German Edition)
mit einem Band daran befestigt worden, wahrscheinlich von Brundish. Folglich würde er es erst aufsperren und die Bilder herausnehmen müssen, bevor er sie vernichten konnte. Solange sie sich in der Kiste befanden, konnte ihnen vermutlich nicht einmal Feuer etwas anhaben.
Womit ließen sie sich sonst noch zerstören? Säure? Aber warum sich die Mühe machen? Mit Feuer ging es ja leicht genug. Auf dem Rost im Kamin glühte noch Holz. Er brauchte nur kräftig nachzuschüren, bis der Kamin tüchtig heizte, und schon hatte er die perfekte Methode. Bis zum nächsten Morgen würde nichts mehr von den Aufnahmen übrig sein.
Er beugte sich über die Kiste, band den Schlüssel los und steckte ihn in das Schloss. Er ließ sich leicht drehen, als wäre das Schloss regelmäßig geölt und benutzt worden.
Der Inhalt bestand entgegen seinen Erwartungen nicht nur aus Papier, sondern auch aus Fotoplatten, neben denen sich die entsprechenden Drucke befanden, vermutlich Duplikate, die die Existenz der Originalbilder belegten. Das hätte er vorhersehen müssen! Vor sich hatte er die Platten, mit denen Ballinger seine Abzüge angefertigt hatte, um Menschen zu erpressen. Rathbones erster Gedanke war »die Opfer« gewesen, aber diese Männer waren nicht die Opfer. Die wahren Opfer waren die Kinder, die Mudlarks , die von dem lebten, was sie im Flussschlamm fanden, die Waisen, die Straßenkinder, die verschleppt und auf den Booten gefangen gehalten wurden, damit sie missbraucht werden konnten.
Er betrachtete die Aufnahmen eine nach der anderen. Sie waren widerwärtig, aber auch auf obszöne Weise faszinierend. Die Kinder sah er kaum an – das hätte er nicht ertragen –; es waren die Gesichter der Männer, die ihn interessierten, wenn auch gegen seinen Willen. Männer mit vertrauten Zügen, Männer mit Macht in der Regierung, der Justiz, der Kirche, im gesellschaftlichen Leben. Und ihre Sucht hatte sie mit solcher Macht im Griff, dass sie immer tiefer im Morast ihrer Gelüste versanken! Jäh drehte sich ihm der Magen um, und die Hand, die die Platten umklammerte, begann zu zittern.
Hätten sie Prostituierte dafür bezahlt, solche Dinge mit anderen Männern oder den Ehefrauen anderer zu treiben, dann wäre das eine private Angelegenheit gewesen, bei der er sich unwissend hätte stellen können. Aber das hier war grundlegend anders. Es war Vergewaltigung und Folter von Kindern und – selbst in den Augen der tolerantesten Zeitgenossen – ein bestialisches Verbrechen. Für die Gesellschaft, in der sie wirkten, die sie respektierte und über die sie Macht hatten, war es eine unverzeihliche Sünde.
Die Platten waren aus Glas. Sie würden nicht verbrennen. Das Feuer im Kamin, wie heiß auch immer, würde nicht ausreichen.
Säure? Mit einem Hammer und hinreichend heftigen Schlägen ließen sie sich wohl zertrümmern. Aber sollte er das wirklich tun? Wenn er die Beweise zerstörte, machte er sich zum Komplizen bei sämtlichen Verbrechen dieser Männer!
Sollte er damit zur Polizei gehen?
Aber einige von diesen Männern waren bei der Polizei! Richter waren dabei und Gerichtsadvokaten. Die halbe Gesellschaft würde er umstürzen, und das würde letztlich bedeuten: die ganze!
Vielleicht würde es am Ende ihn das Leben kosten. Männer waren schon für weit weniger ermordet worden.
Er seufzte. Er war einfach zu müde, um heute Abend Entscheidungen von unwiderruflicher Tragweite zu treffen.
Langsam klappte er die Kiste zu und verriegelte sie wieder. Er musste einen sicheren Ort finden, wo er sie verwahren konnte, bis er sich entschieden hatte.
Wo hatte Ballinger sie aufbewahrt?
Im Tresor einer Bank oder etwas Vergleichbarem?
Das musste er morgen erledigen. Heute Abend war er zu sehr niedergedrückt von Kummer und der Tragweite der anstehenden Entscheidung.
3
Der nächste Morgen war kalt und sonnig, als Monk in die Copenhagen Place einbog, um in der Nachbarschaft von Zenia Gadney erneut an die Türen zu klopfen und zu erkunden, was sich dort über sie in Erfahrung bringen ließ. Orme suchte unterdessen das näher am Fluss gelegene Wohngebiet nach Personen ab, die sie dort gesehen hatten, und zwar nicht nur am Abend ihres Todes, sondern überhaupt irgendwann. Warum hatte sie sich an einem Winterabend am Limehouse Pier aufgehalten, wo sie dem vom Fluss hereinwehenden kalten Wind und den Blicken der Leute auf sämtlichen passierenden Booten ausgesetzt war? Als Prostituierte, die sich ein, zwei schnelle Shillings bei jemandem verdiente,
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