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Ein perfekter Freund

Ein perfekter Freund

Titel: Ein perfekter Freund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Suter
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Öffnungszeiten waren daran angebracht. Ein geteertes Sträßchen führte zu einer Kapelle aus Sichtbeton und von dort aus weiter in die Friedhofsanlage. Sie bestand aus einem Raster von Wegen, dessen Zwischenräume mit ordentlichen, genormten Gräbern begrünt waren. An jeder Grabreihe stand eine Nummer, wie an den Sitzreihen im Kino.
    An einer Kreuzung mit zwei Bänklein, vier Papierkörben und einer Friedhofsordnung kehrte er um. Was immer an jenem 21. Juni passiert war, hier war es bestimmt nicht passiert. Auf solchen Friedhöfen hatte er nichts verloren. Solche Friedhöfe waren ein Grund, weshalb er seinen italienischen Paß behalten hatte. Sein Vater hatte immer gesagt: »Hier kannst du leben und sterben, aber begraben sein kannst du hier nicht.«
    Das nächste Mal, wenn er nach Urbino ging, würde er das verwilderte Grab seines Vaters besuchen. Und den Marmorengel, der seine Mutter damals über acht Millionen Lire gekostet hatte.
    Er verließ den Friedhof durch einen kleinen Seitenausgang und ging weiter den Weg hinauf. Zu seiner Linken lag eine große Wiese mit hohem Gras und ein paar Obstbäumen. Dahinter die Stadt unter einer gelblichen Dunstglocke.
    Nach zweihundert Metern brach der Asphaltbelag in einer sauberen Linie ab. Eine Fahrverbotstafel stand dort.
    »Zubringerdienst gestattet.«
    Der Ort kam Fabio bekannt vor. Er ging weiter. Der Weg gabelte sich. Rechts führte er in den Wald hinein, geradeaus folgte er dem Waldrand. Fabio ging geradeaus. Nach der ersten Biegung war der Weg durch eine dichte Hecke begrenzt. Fabio folgte ihr bis zu einem Lattengatter. Auf einem emaillierten Schild stand: »Gartengenossenschaft Waldfrieden, nur Mitglieder und Gäste.« Über das Gatter konnte man einen Teil der Anlage überblicken. Von Geißblatt, Glyzinien und Reben überwucherte Gartenhäuschen; Büsche, Hecken, Beete, Obstbäume, Regenfässer, Komposthaufen. Vielleicht gab es ein paar Fahnenstangen und Wagenräder zuviel, aber im Vergleich zum Friedhof Wiesenhalde herrschte hier das nackte Chaos.
    Fabio wußte jetzt, wo er war. Er öffnete das Gatter und betrat das Grundstück. Er ging ein Stück auf dem Hauptweg und bog dann in einen Seitenweg ein. Unter dem Vordach eines Häuschens mit gelben Läden saßen drei ältere Männer in Unterhemden und spielten Karten. Fabio grüßte zu ihnen hinüber. Mißtrauisch erwiderten sie den Gruß.
    Ganz am Ende des Wegs lag ein Grundstück, das etwas größer war als die andern und weniger gepflegt. »Gourrama« stand auf einem verwitterten Schild beim Gartentor. Die Brombeer und Himbeerhecken waren überwuchert von den Auslegern eines Kürbisses, der aus dem Kompost wuchs; eines der Beete hatte sich in eine sommerliche Magerwiese verwandelt; vor der Haselhecke, die das Grundstück gegen den Waldrand abgrenzte, wuchsen mannshohe Bärentatzen; im Gemüsebeet stielten ein paar Kopfsalate.
    Auch das Häuschen unterschied sich von den meisten anderen. Es war an die Waldböschung gebaut, seine Vorderfront stand auf Pfählen. So entstand darunter ein auf drei Seiten offener Kellerraum für Holz, Gartengeräte, Fässer, Leitern und allerlei Plunder. Das Haus selbst besaß ein Pultdach aus Dachpappe, eine Holzveranda, ein Zimmer mit einem Fenster. Von der Veranda bot sich ein schö ner Blick über die Stadt. Im Zimmer standen zwei Kajütenbetten. Sie waren schmal, kurz, unbequem und knarrten.
    Fabio wußte das. Er hatte von dieser Terrasse aus an einem Nationalfeiertag das große Feuerwerk über der Stadt bewundert. Und spätnachts versucht, mit Norina zu schlafen, ohne Lucas zu wecken. Das Gourrama gehörte dessen Großonkel.
    Manchmal muß man seinen ersten Impulsen folgen. Fabios erster Impuls war: Lucas anzurufen und zu sagen: »Rate mal, wo ich gerade bin.« Und dann würde er ja hören, wie der reagierte.
    Er nahm sein Handy aus der Tasche und versuchte vergeblich, die Nummer der Redaktion zu wählen. »Kein Netz« stand auf dem Display. Richtig: Der Schrebergarten befand sich an einer der wenigen Stellen der Stadt, die außerhalb der Reichweite lagen. Sie hatten diese Erfahrung am Morgen nach dem Nationalfeiertag gemacht, als sie alle drei verpennt hatten und ein Taxi bestellen wollten. Lucas mußte weiter als bis zur Wegbiegung gehen, ehe er ein Signal empfing.
    Fabio ging zurück. Auf halbem Weg kam ihm ein Mann im Unterhemd entgegen. Er sah aus wie einer der Kartenspieler.
    »Wen suchen Sie?« fragte er herausfordernd.
    »Ich bin ein Freund von Lucas Jäger. Ich dachte,

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