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Ein perfektes Leben

Ein perfektes Leben

Titel: Ein perfektes Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leonardo Padura
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einen Moment, »wenn Sie erlauben«, und verschwand hinter einer spanischen Wand aus unbehandeltem Holz, die den Wohnraum von dem abteilte, was wohl eine Küche war. Der Salon war groß, vielleicht unverhältnismäßig groß für die Gesamtfläche der Wohnung, wie der Teniente abschätzte. Plötzlich fiel ihm ein, dass Rafael Morín bei seinem möglicherweise letzten Auftritt in der Öffentlichkeit hier getanzt und gegessen, geplaudert und gelacht hatte. Ein guter Ort für eine Party. Durch die Balkonfenster sah man die nackten Äste eines hohen Flamboyants. Im Sommer, dachte Mario, muss der Baum mit seinen üppigen orangefarbenen Blüten ein Fest fürs Auge sein.
    Fernández-Lorea kam zurück, und El Conde war sich jetzt ganz sicher, dass ihm das Gesicht vertraut war. Aber woher kenne ich ihn, verdammt, woher bloß? Er zermarterte sich das Hirn, denn diese Zusatzinformation konnte vielleicht sehr wichtig sein.
    »Also, schießen Sie los«, sagte der Vizeminister. Seine Stimme war um einige Dezibel lauter als nötig. Er hatte es sich in einem Schaukelstuhl mit Rohrgestell und Plastikbespannung gemütlich gemacht und schaukelte leicht. »Wir machen uns alle große Sorgen um den Genossen Morín.«
    El Conde sah in die etwas gelangweilten Augen seines Gegenübers und spürte, dass er nicht sprechen konnte. Er überlegte sich, wie er den Vizeminister anreden sollte. »Genosse Vizeminister« klang leer, pedantisch und zu devot. Ganz einfach »Fernández«? Zu unpersönlich. »Alberto«? Auf gar keinen Fall, so vertraut waren sie nicht miteinander. Er wollte das Gespräch, das mit so vielen Zweifeln begann, so schnell wie möglich hinter sich bringen.
    »Genosse Vizeminister Fernández«, sagte er schließlich, und bei diesen Worten hätte er sich am liebsten selbst gegeißelt. »Sehen Sie, dies ist ein höchst ungewöhnlicher Fall. Solche Fälle von Verschwinden kommen in Kuba kaum vor, und deshalb sehen wir uns gezwungen, in allen Richtungen zu ermitteln. Zurzeit schließen wir eine Entführung und ein illegales Verlassen des Landes aus … «
    »Nein, nein, das ist undenkbar, nicht bei Rafael. Ihm muss irgendetwas passiert sein, davon bin ich überzeugt. Ein Unfall zum Beispiel«, vermutete er, doch sogleich bat er mit einer Handbewegung um Entschuldigung für die Unterbrechung. »Aber Sie haben das Wort.«
    »Im Moment«, fuhr der Teniente mit einem Seitenblick auf seinen Kollegen fort, »ziehen wir nur zwei Möglichkeiten in Betracht. Die erste scheint uns sehr wenig wahrscheinlich: dass Rafael sich nämlich aus irgendeinem Grund – aus welchem, wissen wir nicht – versteckt hält oder versteckt gehalten wird. Und die zweite Möglichkeit ist die, dass er ermordet wurde, aus einem Grund, den wir ebenfalls nicht kennen. Doch die Erfahrung lehrt uns, dass ein x-beliebiger Grund, und sei er auch noch so banal, für einen Mord ausreichen kann. Wie dem auch sei, in der Nacht vor seinem Verschwinden war Rafael mit seiner Gattin hier, um das alte Jahr zu verabschieden. Und vielleicht ist Ihre Party der Schlüssel, der uns zu Rafael führt. Deswegen sind wir hier.«
    Der Vizeminister blickte zur Trennwand und zuckte nervös mit dem Fuß. Mario Conde nahm den unverkennbaren Duft eines starken Kaffees wahr und dankte dem Hausherrn im Voraus.
    »Nun ja, Genossen, ehrlich gesagt, ich weiß nicht, wie ich Ihnen behilflich sein kann«, begann Fernández-Lorea eloquent und ohne mit dem Schaukeln aufzuhören. »Sie haben Recht, in Kuba geht niemand einfach so verloren, aber gleichzeitig geht alles Mögliche verloren. Das ist schon fast wieder sympathisch, finden Sie nicht? Nun, vielleicht wollen Sie meine Meinung über Morín hören, und mit der möchte ich allerdings nicht hinterm Berg halten. Meiner Meinung nach ist Rafael der beste jüngere Kader in unserer Direktion, deren Aufgabe es ist, der Industrie Material zuzuteilen und den Verkauf einiger unserer Produkte im Ausland zu managen. Ich habe ihn vor etwas weniger als zwei Jahren kennen gelernt, als ich ins Ministerium versetzt wurde. Und ich will Ihnen ganz ehrlich sagen: Als ich sah, wie er arbeitet, zweifelte ich keinen Augenblick daran, dass er eines Tages meinen Posten übernehmen würde. Und ich … « Er senkte die Stimme auf die für eine Drei-Personen-Versammlung adäquate Lautstärke; es wurde vertraulich. »Ich wäre ihm sehr dankbar dafür, denn ich bin für so ein Amt nicht geboren. Dass ich es zurzeit bekleide, ist mehr ein Zufall als mein Wunsch, das sage ich

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