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Ein perfektes Leben

Ein perfektes Leben

Titel: Ein perfektes Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leonardo Padura
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schießen konnte. Doch dann hat er geschossen und getroffen. Und an dem Tag, als sich sein Leben veränderte, so kann er sich noch erinnern, fragte er sich, was das ist, das Schicksal. Und er fand nur eine Antwort darauf: Ja oder Nein zu sagen. Wenn du kannst. Und ich hatte die Wahl, Tamara.
    »Gib mir noch einen Schluck«, bittet er und schaut sie wieder an.
    Sie hat ihm zugehört und dabei ihren Whisky getrunken, und ihre Augen sind feucht geworden. Sie schenkt beide Gläser voll, bevor sie sagt: »Ich habe auch Angst.« Es ist nur ein Flüstern, das aus dem tiefen Sessel kommt. Die aufdringliche Strähne hat sie sich selbst überlassen, so als hätte sie sich daran gewöhnt, mit ihr vor den Augen zu leben, sie vor allen anderen Dingen der Welt zu sehen.
    »Wovor?«
    »Mich immer leerer zu fühlen. Hochnäsig zu sein und nur über Seide und Baumwolle zu reden. Nicht mein eigenes Leben zu leben. Zu glauben, dass ich alles habe, nur weil ich daran gewöhnt bin, alles zu haben, und weil ich meine, dass ich ohne bestimmte Dinge nicht mehr leben kann. Ich habe vor allem Angst, mein Lieber, und nicht mal ich selbst verstehe mich richtig. Einerseits möchte ich, dass Rafael hier ist, dass alles bleibt, wie es ist, leicht und geordnet. Andererseits möchte ich, dass er nie wieder zurückkommt und ich versuchen kann, irgendetwas ganz alleine zu erreichen, ohne Rafael, ohne Papa, ohne Mima, sogar auch ohne meinen Sohn … Und das nicht erst seit gestern, Mario. Ich fühle mich schon eine ganze Weile so.«
    »Soll ich dir was sagen? Ich muss gerade daran denken, wie die Tante vom Zigeuner Sandin dir aus der Hand gelesen und was sie dir prophezeit hat. Erinnerst du dich noch?«
    »Natürlich erinnere ich mich, das habe ich nie vergessen. Du wirst alles haben, und du wirst nichts haben, hat sie gesagt. Ist es möglich, dass das schon damals aus meiner Hand zu lesen war, dass das mein Schicksal war, wie du es nennst?«
    »Keine Ahnung, bei mir hat sie sich nämlich geirrt. Mir hat sie gesagt, dass ich weite Reisen machen und jung sterben würde. Sie hat mich wohl mit Carlos verwechselt. Oder vielleicht auch nicht, vielleicht haben wir uns selbst miteinander verwechselt … Tamara, wärst du fähig, deinen Mann umzubringen?« Sie nimmt einen großen Schluck aus ihrem Glas und steht auf.
    »Warum müssen wir so schrecklich kompliziert sein, trauriger Polizist?«, fragt sie und stellt sich vor ihn. »Es gibt keine Frau, die ihren Ehemann nicht irgendwann mal hätte umbringen mögen. Das solltest du doch wissen. Aber fast keine kann sich letztlich dazu entschließen. Ich jedenfalls bin zu feige, Mario«, fügt sie hinzu und tut einen Schritt nach vorn.
    Er klammert sich an sein Glas, hält es schützend vor den Bauch. Er gibt sich Mühe, ihre Schenkel nicht zu berühren. Seine Hände zittern, und das Atmen wird zu einem bewussten und schwierigen Akt.
    »Du hast mir nie gestanden, dass ich dir gefalle. Warum sagst du es jetzt?«
    »Seit wann weißt du das?«
    »Schon immer. Unterschätze nie die Intelligenz einer Frau, Mario.«
    Er lehnt den Kopf gegen die Rückenlehne des Sessels und schließt die Augen. »Ich glaube, ich hätte mich getraut, wenn Rafael mir nicht zuvorgekommen wäre, vor siebzehn Jahren. Danach konnte ich es nicht mehr. Du weißt ja nicht, wie sehr ich in dich verliebt war, wie oft ich von dir geträumt habe, was wir in meinen Träumen miteinander gemacht haben … Doch das hat jetzt alles keinen Sinn mehr.«
    »Warum bist du dir da so sicher?«
    »Weil wir uns immer weiter voneinander entfernen, Tamara.«
    Sie straft seine Worte Lügen, indem sie noch einen Schritt nach vorn tut. Sie berührt seine Knie. »Und wenn ich sage, dass ich gerne mit dir schlafen möchte, jetzt gleich?«
    »Ich würde denken, dass es wieder so eine Laune von dir ist, weil du gewohnt bist, alles zu bekommen, was du willst. Warum sagst du das zu mir?«, fragt er, denn er ist nicht in der Lage, dagegen anzukämpfen. Er fühlt einen Schmerz in der Brust, sein Mund ist wie ausgetrocknet. Das Glas kann ihm jeden Moment aus den verschwitzten Händen gleiten.
    »Möchtest du nicht, dass ich dir das sage? Bist du nicht genau deswegen hierher gekommen? Wirst du immer Angst haben?«
    »Ich glaube, ja.«
    »Aber wir werden miteinander schlafen, denn ich weiß, dass ich dir noch immer gefalle und dass du nicht Nein sagen wirst.«
    Da stellt er das Glas auf den Boden und sieht sie an. Er spürt, dass sie jetzt eine andere Frau ist, dass sie sich

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