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Ein perfektes Leben

Ein perfektes Leben

Titel: Ein perfektes Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leonardo Padura
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verändert hat. Sie ist scharf auf ihn und riecht auch danach. Und er weiß, dass es seine Chance ist, Nein zu sagen.
    »Und wenn ich Nein sage?«
    »Dann hast du wieder einmal die Möglichkeit gehabt, dein Schicksal zu bestimmen, Ja oder Nein zu sagen. Du triffst gerne Entscheidungen, stimmts?« Sie tut den letzten möglichen Schritt nach vorn und steht nun zwischen seinen Beinen. Ihr Duft ist unwiderstehlich, und Mario ist sich bewusst, dass sie immer noch zum Anbeißen ist, mehr denn je. Wie eine Bedrohung nimmt er unter dem T-Shirt ihre vor Kälte und Begierde harten Brustwarzen wahr, die bestimmt so dunkel sind wie ihre Lippen. Und er sieht sich mit seinen vierunddreißig Jahren auf der Kloschüssel sitzen und seine uralten Frustrationen mit viel Speichel und ohne jede Leidenschaft kompensieren. Da erhebt er sich auf dem kleinen Raum, den sie ihm für seine Entscheidung gelassen hat, und sieht die unermüdliche Haarsträhne, die feucht glänzenden Augen. Er weiß, dass er jetzt ein für alle Mal Nein sagen muss. Ich kann es nicht, ich will es nicht, ich kann nicht, ich darf nicht. Er verspürt eine absurde Leere zwischen den Beinen, eine andere Form der Angst. Aber es ist unmöglich, sich immer gegen das Schicksal aufzulehnen.
    Ohne sich zu berühren, gehen sie die Treppe hinauf, die zu den Räumen in der zweiten Etage führt. Sie geht vor und öffnet eine Tür, und sie betreten ein Zimmer, in dem ein noch dämmrigeres Halbdunkel herrscht als im Salon. Er sieht ein Bett mit einer ordentlich glatt gestrichenen brau nen Tagesdecke. Er weiß nicht, ob sie sich in ihrem Schlafzimmer befinden oder nicht. Sein Denkvermögen ist stark reduziert. Doch als sie das T-Shirt über den Kopf zieht und er endlich, endlich die Brüste sieht, von denen er in den letzten siebzehn Jahren so oft geträumt hat, gelingt es ihm zu denken, dass sie tatsächlich noch schöner sind, als er sie sich ausgemalt hat. Dass er niemals hätte Nein sagen können. Dass er diese Frau so sehr begehrt und dass er sich wünscht, Rafael Morín möge in diesem Moment hereinkommen, nur um zu sehen, wie ihm sein ewiges Lächeln vergeht.
     
    Er raucht und zählt die Tränen der Deckenlampe. Er weiß, dass er eine weitere Illusion zerstört hat, doch er muss das Gewicht seiner Entscheidungen tragen. Die unglaubliche Tamara, die bessere der beiden Schwestern, schläft nun den Schlaf einer sorglos Liebenden. Ihre runden, schweren Hinterbacken berühren Marios Hüften. Ich möchte nicht denken, ich kann nicht mein Leben lang denken, sagt er sich, als das Telefon klingelt und sie aus dem Schlaf hochschreckt.
    Ungeschickt versucht sie das lange T-Shirt überzustreifen. Schließlich geht sie in den Flur, wo das Telefon immer noch klingelt. Als sie ins Zimmer zurückkommt, sagt sie nur: »Für dich.« Sie scheint verwirrt und auch besorgt.
    Er schlingt sich ein Handtuch um die Hüften und verlässt das Zimmer. Tamara folgt ihm, bleibt im Türrahmen stehen, sieht ihm beim Telefonieren zu.
    »Ja?«, fragt er und hört dann nur noch zu, über eine Minute lang. Zum Schluss sagt er: »Schick mir den Wagen, ich fahr hin.«
    Er legt auf und sieht Tamara an. Er geht zu ihr, und bevor er sie küssen kann, muss er die unbezähmbare Haarsträhne zähmen.
    »Nein, Rafael ist nicht aufgetaucht«, sagt er.
    Es wird ein langer, sanfter Kuss. Zwei Zungen winden sich umeinander, Speichel wird ausgetauscht, Zähne stoßen aneinander, Lippen beginnen zu schmerzen. Es ist der schönste Kuss, den sie sich bisher gegeben haben.
    »Ich muss in die Zentrale«, sagt er dann. »Man hat Zoila gefunden. Wenn es was mit Rafael zu tun hat, ruf ich dich später an.«
     
    Zoila Amarán Izquierdo sah ihnen entgegen, als sie das kleine Büro betraten. In ihren Augen wechselten sich Gleichgültigkeit und Argwohn ab. Mario Conde konnte ihre starke Weiblichkeit atmen. Die goldbraune Haut des Mädchens glänzte wie das Fell eines gesunden Tieres, und das Auffälligste an ihrem Gesicht, der Mund, hatte schamlos fleischige Lippen. Wirklich aufreizend. Sie war gerade mal dreiundzwanzig, wirkte aber sehr selbstsicher. Mario Conde ahnte, dass es nicht einfach werden würde. Das Mädchen lebte auf der Straße und wusste Bescheid. Durch den Umgang mit allen möglichen Leuten war sie abgehärtet, und mit Stolz konnte sie sagen, ich schulde keinem was, ich kann mich durchboxen, was sie wahrscheinlich mehr als einmal hatte beweisen müssen. Sie liebte den Luxus, und dafür war sie bereit, sich am Rande der

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