Ein perfektes Leben
ich Rafael aus seiner Schüler- und Studentenzeit kannte, wollten sie von mir wissen. Stell dir vor, ich und Rafael kennen! Und dann haben sie mich befragt, und ich hab geantwortet, alles bestens. Und zwei Monate später kreuzt Rafael bei mir auf, Mann, fuchsteufelswild! Sie hätten seinen Antrag zurückgestellt und ich wär Schuld dran, hat er gesagt. Ich hätte nicht erzählen sollen, dass seine Mutter in die Kirche geht und dass er seinen Vater getroffen hätte, als der aus Miami gekommen wär. Der Alte war völlig auf den Hund gekommen, der Ärmste, hat sich im Norden als Klempner durchgeschlagen. Dabei hatten Rafael und seine Mutter überall rumerzählt, der Alte wär ’n Säufer gewesen und inzwischen tot. Und was Rafael am meisten gewurmt hat, war, dass ich denen erzählt hatte, ich hätte das Gefühl, er würde seinen Vater immer noch lieben und ich würde mich freuen, dass sie sich nach zwanzig Jahren wieder gesehen hätten. Seit der Grundschule hatte er nämlich ’n Trauma wegen seinem Vater und dem ganzen Scheiß, weil der doch abgehauen war. Na ja, ich hab eben die menschliche Seite gesehen … Hör mal, wenn die Yoly hier wär, die könnte dir was erzählen! Rumgeschrien hat er wie ’n Verrückter, das wär ’ne Schweinerei, ich wär nur neidisch auf ihn und all so ’n Scheiß. Aber das ist noch nicht das Schlimmste, guck mich nicht so an. Ich bin dann zu dem Büro gegangen, wo er gearbeitet hat, und wollte mit den beiden reden, die mich damals befragt hatten. Ich hab nämlich nicht verstanden, was daran so schlimm sein sollte. Und genau das haben die mir dann auch gesagt. Das mit dem Vater hätte keine weiteren Konsequenzen, denn es wär ja verständlich, dass er seinen Vater wieder sehen wollte. Sein Antrag wär aber zurückgestellt worden, weil er ›Merkmale von Selbstzufriedenheit‹ gezeigt hätte, so wörtlich, und wegen irgend ’ner Sache mit der Gewerkschaft, glaub ich, so genau erinnere ich mich nicht mehr. Aber sie wären sicher, dass er das alles überwinden könnte, bla-bla-bla. Das war die Geschichte mit der Überprüfung.«
»Irgendwie kommt mir das bekannt vor«, sagte Mario Conde, »hört sich ganz nach Rafael an.« Er kam Mikis Bitte zuvor, gab ihm eine Zigarette und zündete sich selbst eine an. »Aber was hat das Ganze mit seinem Verschwinden zu tun?«
»Das hat insofern was damit zu tun, weil ich damals bei der Überprüfung nicht die ganze Wahrheit gesagt habe. Rafael dachte nämlich, ich hätte erzählt, dass sein Vater ihm einen Koffer voll Kleidung mitgebracht hatte und mit ihm im Devisenshop war. Hab ihm doch selbst für einhundertfünfzig Pesos ’ne Jeans abgekauft, die ihm zu groß war. Aber davon hab ich überhaupt nichts erzählt, nicht weil ich ein Lügner bin, sondern weil ich ihn nicht reinreißen wollte. Damals war so was ja Gift für Parteimitglieder, und deshalb hab ich mir die rührende Geschichte von dem liebenden Sohn ausgedacht.«
»Also, ehrlich, Miki … «
»Erspar mir deine Vorwürfe, ich hab dich nicht kommen lassen, weil ich beichten wollte. Ich bin noch nicht fertig. Rafael war nämlich am Einunddreißigsten hier, nachmittags so gegen drei. Und das nach so vielen Jahren! Das interessiert dich, was? Erzähl nichts, Conde, ich kenn dich doch.«
»Warum war er hier, Miki?«
»Warte, ich dreh mal schnell die Platte um. Die hat Rafael mir geschenkt, zu Neujahr. Er weiß, dass ich auf die Mamas stehe, auf die Mamas und die Stones … Ich war völlig baff, als ich ihn sah, aber ich hab mich auch gefreut, trotz allem. Ich bin nämlich nicht nachtragend, ich nicht. Gut, ich bin also zur Nachbarin nach nebenan und leih mir Kaffee. Und wir trinken ’n halben Liter Rum dazu, den hatte ich noch. Wir unterhalten uns, als wär nichts geschehen. Über den ganzen Scheiß, von der Schule, vom Viertel, das Übliche. Rafael ist im Grunde ’n armes Schwein, weißt du das? Am Ende war er es immer, der neidisch auf mich war. Das hat er mir selbst gestanden, da hat er gesessen, wo du jetzt sitzt. Ich hätte immer gemacht, wozu ich Lust hätte, hat er zu mir gesagt. Stell dir das vor, so fertig wie ich bin mit meinen drei Büchern. Hab nicht mal Lust, sie noch mal zu lesen. Pure Affenscheiße! Als ich ihm das gesagt hab, hat er sich halb totgelacht. Er meinte, ich mache Witze.«
»Aber was zum Teufel wollte er denn nun, Miki? Warum ist er hergekommen?«
»Er wollte mich um Entschuldigung bitten, Conde. Ich sollte ihm verzeihen. Weißt du, was er gesagt hat? Er hat
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