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Ein perfektes Leben

Ein perfektes Leben

Titel: Ein perfektes Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leonardo Padura
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gesagt, ich wär immer sein bester Freund gewesen.«
    Mario musste daran denken, wie Tamara sich vor ein paar Stunden ausgezogen hatte. Und er spürte, dass er in einem tödlichen Sumpf versank, endgültig, unwiderruflich.
    »Ist er nun ein Zyniker oder ein Blödmann?«
    Wieder trat Miki die Kippe auf dem Boden aus, diesmal aber mit großer Sorgfalt, und nachdem er sie ausgetreten hatte, zermalmte er sie noch mit dem Fuß.
    »Warum sagst du das, Conde? Du bist doch auch so ’n armes Schwein, und das weißt du doch, oder? Deswegen wirst du auch weder ein mittelmäßiger Schriftsteller werden wie ich noch ein aalglatter Opportunist wie Rafael. Nicht mal ein anständiger Kerl wie der arme Carlos. Du bist nichts, Conde, weil du alle verurteilen willst, nur dich selbst verurteilst du nie.«
    »Du redest Scheiße, Miki.«
    »Ich rede keine Scheiße, und das weißt du ganz genau. Du hast Angst vor dir selbst, und du akzeptierst dich nicht so, wie du bist. Warum willst du kein richtiger Polizist sein, hm? Du bleibst immer auf halbem Wege stehen. Der typische Vertreter unserer Generation, der ›verborgenen Generation‹ wie uns ein Philosophieprofessor auf der Uni genannt hat. Wir wären eine Generation ohne Gesicht, hat er zu mir gesagt, eine Generation, die weder ihren Platz gefunden noch gelernt hat, sich durchzuboxen. Dass man nicht wüsste, wo wir stehen und was wir wollen, und deshalb würden wir uns lieber verstecken. Ich bin ein Schriftsteller, der Scheiße schreibt, weil ich mir keinen Ärger einhandeln will, und ich weiß das. Aber du, was bist du?«
    »Einer, der auf das alles scheißt, was du sagst.«
    Miki grinste und streckte die Hand aus. Mario legte seine letzte Zigarette hinein, zerdrückte die Schachtel zu einem Knäuel und warf sie aus dem Fenster.
    »Die LP ist Klasse, was?« Genüsslich stieß der Schriftsteller den Rauch aus.
    »Hör mal, Miki«, sagte der Teniente und sah seinem ehemaligen Mitschüler in die ehemals himmelblauen Augen, »das mit deinem Frauenrekord in der Oberstufe, war das auch gelogen?«
     
    Er hörte den Schuss nicht. Es zerschmettert mir die Hüften, dachte er im ersten Moment. Doch das war nichts als ein Gedankenblitz. Er verlor das Gleichgewicht, und als er zu Boden stürzte, war er bereits bewusstlos. Erst zwei Stunden später wurde er wieder wach. Da erfuhr er, was es bedeutet, Schmerzen zu haben. Mit einer Kanüle in der Vene wurde er in einem Helikopter nach Luanda geflogen. Der Arzt sagte zu ihm: Beweg dich nicht, wir sind gleich da. Diese Anordnung war jedoch überflüssig, denn er konnte nicht einen Körperteil bewegen. Der heftige Schmerz überwältigte ihn. Als Nächstes erinnert er sich an den Moment, als er nach der ersten Notoperation im Militärhospital von Luanda aufwachte.
    Mario Conde wiederholte sich diese Geschichte so oft, bis sie wie ein Film vor seinem geistigen Auge ablief und er sich jedes Detail vorstellen konnte: wie Carlos zu Boden stürzte und mit dem Gesicht in dem heißen Sand lag, einen fernen Geruch nach Stockfisch in der Nase; das Geräusch des Helikopters, das blasse Gesicht des jungen Arztes, seine Worte (»Beweg dich nicht, wir sind gleich da« ); Carlos im Innern des Helikopters, vermutlich war ihm kalt; eine Wolke in der Ferne, flüchtig, makellos weiß.
    Nachdem der Dünne ein zweites Mal in Havanna operiert worden war, erzählte er Mario die Geschichte seiner einzigen Schlacht gegen einen Feind, den er nicht mal gesehen hatte. Josefina pflegte ihn tagsüber, und El Conde, Pancho, der Hasenzahn und Andrés wechselten sich nachts ab. Sie redeten, bis der Schlaf sie übermannte, und am Ende war sich Mario bewusst, dass dies auch sein Krieg gewesen war, obwohl er nie ein Gewehr in die Hand genommen hatte und die Folge des Krieges vor ihm lag: der Dünne auf seinem Krankenbett. Mario wusste inzwischen, dass sein Freund wahrscheinlich niemals mehr würde gehen können, und ihre heitere, unbekümmerte, ausgelassene Freundschaft wurde von einem Schuldgefühl überschattet, das El Conde nie mehr abschütteln konnte.
     
    »Aber was regst du dich denn so auf, Bär?«
    »Wie soll man sich da denn nicht aufregen, nach dem, was die Weicheier geboten haben? Du, die kriegen den Arsch nicht hoch! Als sie Samstag verloren haben, hab ich so was schon kommen sehen. Hatten das Spiel so gut wie im Sack, aber dann konnten sie keinen run machen, alle blieben auf ihren bases kleben. Und dann machen die Vegueros ihre runs und gewinnen das Spiel! Aber heute, das

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