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Ein perfektes Leben

Ein perfektes Leben

Titel: Ein perfektes Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leonardo Padura
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protestierte Carlos und trank so gierig, als müsste er seine Kehle desinfizieren. Mario sah ihn an. Er fand ihn so dick und so anders als früher, und er fragte sich, wie lange er ihn wohl noch haben würde. Ihn überkam wieder die Erinnerung an all seine Träume und Niederlagen, während er sich den Carlos von früher ins Gedächtnis zu rufen versuchte, stehend, dünn, auf zwei Beinen gehend. Doch sein Hirn weigerte sich, jenes liebenswerte Bild zu übermitteln. Da konnte er nicht länger an sich halten und fragte:
    »Wann hast du dich eigentlich zum letzten Mal wegen irgendetwas geschämt, Dünner? So richtig geschämt, meine ich.«
    »Hör mal, du«, Carlos hielt lächelnd sein Glas gegen das Licht, »ich bin also besoffen, ja? Und die, die solche Fragen stellen, was sind die? Kosmonauten?«
    »Mann, ich meins ernst.«
    »Keine Ahnung, Conde. Ich schreib mir so was nicht auf. So zu leben«, er zeigte auf seine Beine, lächelte aber noch immer, »ist schon Zumutung genug. Aber was soll ich machen?«
    Mario sah ihn an und nickte. Klar, das war eine Zumutung, aber inzwischen wusste er das Beste daraus zu machen.
    »Also, weswegen schämst du dich am meisten?«
    »Hör mal, du, was willst du eigentlich? Sag erst mal, weswegen du dich schämst.«
    »Ach, ich … Na gut. Als ich Autofahren gelernt hab, hab ich mal vor einer Tankstelle die Kurve nicht gekriegt und einen 55-Gallonen-Tank umgefahren. Die Typen, die da rumstanden, haben Beifall geklatscht und alles.«
    »Und wegen dem Scheiß schämst du dich?«
    »Jedes Mal, wenn ich dran denke! Warum, weiß ich nicht. Genauso wie damals, als der verrückte Eduardo dem Leiter des Ferienlagers einen Stiefel an den Kopf geworfen hat und ich Angst vor Rafael hatte.«
    »Ja, ja, daran erinnere ich mich auch noch … Also, ich werd immer schamrot, wenn eine Krankenschwester meinen Pimmel halten muss, damit ich in die Ente pinkeln kann.«
    »Und ich, als ich mich mal in der Uni gebückt hab und meine Hose geplatzt ist und ich zwei sooo Riesenlöcher in der Unterhose hatte.«
    »Und ich erst, als wir in Pinar del Río zum Essen gegangen sind, Ernestico, du und ich, das war, als wir bei der Tabakernte geholfen haben, und ich sag, also, ich werd mir mal lieber die saubere Unterhose anziehen, man weiß ja nie, vielleicht läuft ja was, und dann haben alle mitgekriegt, dass ich sie dreckig in den Koffer gelegt hatte, mit Schleifspuren!«
    »Und deswegen schämst du dich immer noch? Also wirklich … Was mich immer noch so richtig wurmt, das ist die Versammlung im zweiten Jahr an der Uni, da wollten sie einen aus dem Hörsaal schmeißen, weil ein anderer gesagt hat, er wär schwul. Und ich bin nicht aufgestanden, um ihn zu verteidigen, weil ich Angst hatte, die könnten von der Venezolanerin anfangen, mit der ich damals zusammen war, du weißt schon, Marieta, keinen Arsch und dicke Titten.«
    »Ja, ja … Gib mir noch was … Einmal kam eine Krankenschwester von der Poliklinik, wollte mir ’ne Spritze geben, war schon ziemlich spät, und ich hör sie nicht kommen, guck mir gerade ’ne Zeitschrift an, die der Peyi mir geliehen hatte, mit sooo ’nem Ständer!«
    »Schrecklich!« Sie gehen nun zu der angebrochenen Flasche über. »Wie damals, als ich mich im Bus an der Stange festgehalten hab und der Fahrer bremsen musste, und ich hab plötzlich die Brust von der Frau in der Hand, und sie schnauzt mich an, du alter Wichser und so, und die Leute schreien Tittengrabscher, Tittengrabscher!«
    »Scheiße, du, die vom Comité haben mich mal mit ’ner Kommilitonin losgeschickt, wir sollten die Leute davon überzeugen, nicht mit langen Haaren in die Uni zu kommen, und wir also los, aber dafür gabs überhaupt keine Vorschriften oder so. Für welchen Scheiß man sich manchmal hergibt … «
    »Das ist noch gar nichts, Bär! Wie ich mal mit der Marieta ins Hotel ›Capri‹ wollte und so gesprochen hab, mit diesem Singsang und so, damit die glaubten, ich wär Venezolaner! Kaum zu glauben, ich wär fast im Boden versunken … «
    »Hör mal, du, ich mag gar nicht dran denken, als ich … Ja, schütt noch einen ein … also, als der Sansón mir die Dose Kondensmilch geklaut hat und ich wusste, dass ers war, aber ich hab so getan, als hätt ich nichts gemerkt, nur damit ich mich nicht mit ihm prügeln musste … «
    »So ’n Scheiß, so ’n Scheiß … Und was mir heute passiert ist, nein, Dünner, ich schäm mich zu Tode oder ich sauf mich zu Tode oder … « Er schloss die Augen, um nicht

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