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Ein plötzlicher Todesfall

Ein plötzlicher Todesfall

Titel: Ein plötzlicher Todesfall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joanne K. Rowling
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überlegte er. Andrew wusste, dass Tessa seinen Vater verabscheute. Schon allein deshalb war er bereit, ihre furchtbar sackartigen Kleider und die langweilige Ponyfrisur zu übersehen.
    Ihre Abneigung rührte von dem Ereignis vor etlichen Jahren, als Fats im Alter von sechs Jahren zum ersten Mal nach Hilltop House kam, um dort einen Samstagnachmittag zu verbringen. Die beiden Jungen waren in der Garage auf einen Karton geklettert, um an zwei alte Federballschläger heranzukommen, und hatten versehentlich ein wackeliges Regal umgestoßen.
    Andrew hörte förmlich noch, wie die Dose Holzschutzmittel krachend auf das Wagendach fiel und aufsprang, konnte sich noch an die Angst erinnern, die ihn gepackt hatte, und an seine Unfähigkeit, seinem kichernden Freund klarzumachen, was gleich passieren würde.
    Simon hatte den Lärm gehört. Er war hinaus zur Garage gerannt und mit vorgeschobenem Unterkiefer auf sie losgegangen, hatte sein leises, tierisches Knurren ausgestoßen, bevor er brüllend mit Körperstrafen gedroht und mit geballten Fäusten vor ihren kleinen, zu ihm aufschauenden Gesichtern herumgefuchtelt hatte.
    Fats hatte sich in die Hose gemacht. Der Urin war bis auf den Garagenboden getropft. Ruth, die das Gebrüll von der Küche aus gehört hatte, kam vom Haus herübergelaufen. »Nein, Si, nein … Es war ein Versehen.« Fats war kreidebleich geworden und zitterte, wollte auf der Stelle nach Hause zu seiner Mum.
    Tessa hatte ihn abgeholt, und Fats war schluchzend in seiner nassen Hose auf sie zugerannt. Damals hatte Andrew das einzige Mal in seinem Leben seinen Vater ratlos und kleinlaut erlebt. Irgendwie hatte Tessa brennende Wut durchblicken lassen, ohne laut zu werden, ohne zu drohen, ohne zu schlagen. Sie hatte einen Scheck ausgestellt und Simon in die Hand gedrückt, während Ruth versichert hatte: »Nein, nein, das ist doch nicht nötig, absolut nicht.« Simon war ihr bis an den Wagen gefolgt und hatte versucht, alles mit einem Lachen abzutun, doch Tessa hatte ihm einen verächtlichen Blick zugeworfen, während sie den immer noch schluchzenden Fats auf den Beifahrersitz gehoben und die Fahrertür vor Simons grinsendem Gesicht zugeschlagen hatte. Andrew hatte die Mienen seiner Eltern gesehen: Tessa nahm etwas mit sich den Hügel hinunter in den Ort, etwas, das für gewöhnlich im Haus auf dem Hügel verborgen blieb.)
    Fats war neuerdings um Simons Gunst bemüht. Immer, wenn er nach Hilltop House kam, gab er sich alle Mühe, Simon zum Lachen zu bringen. Simon seinerseits begrüßte Fats’ Besuche, lachte brüllend über dessen gröbste Witze, hörte gern etwas über Fats’ Eskapaden. Doch wenn Fats mit Andrew allein war, pflichtete er ihm von ganzem Herzen bei, dass Simon ein Oberarsch erster Güte war.
    Â»Schätze, sie ist eine Lesbe«, sagte Fats, als sie am alten Pfarrhaus vorbeigingen.
    Â»Deine Mum?«, fragte Andrew, der kaum zuhörte und ganz in Gedanken versunken war.
    Â»Häh?«, jaulte Fats auf, und Andrew sah ihm an, dass er wirklich wütend war. »Scheiße auch! Sukhvinder Jawanda.«
    Â»Stimmt.«
    Andrew lachte, und kurz darauf auch Fats.
    Der Bus nach Yarvil war überfüllt. Andrew und Fats mussten nebeneinander sitzen, statt auf zwei Doppelsitzen hintereinander, wie sie es sonst taten. Als sie an der Hope Street vorbeifuhren, warf Andrew einen Blick hinaus, aber es war niemand auf der Straße. Seit dem Nachmittag, an dem sie beide sich im Copper Kettle einen Samstagsjob gesichert hatten, war er Gaia außerhalb der Schule nicht mehr begegnet. Das Café würde am kommenden Wochenende eröffnet werden, und bei dem Gedanken daran überliefen ihn Wogen der Euphorie.
    Â»Si-Pies Wahlkampagne läuft schon, ja?«, fragte Fats. Er war damit beschäftigt, sich eine Zigarette zu drehen. Ein langes Bein hatte er in den Gang des Busses gestreckt, und die Leute stiegen lieber darüber hinweg, als ihn zu bitten, es einzuziehen. »Pingel macht sich schon in die Hose und ist erst beim Entwurf seiner Wahlbroschüre.«
    Â»Ja, er geht es an«, sagte Andrew und ertrug die Panikkrämpfe im Magen, ohne mit der Wimper zu zucken.
    Er dachte an seine Eltern, wie sie in der vergangenen Woche jeden Abend am Küchentisch gesessen hatten, an einen Karton idiotischer Wahlbroschüren, die Simon in seiner Firma hatte drucken lassen, an die Liste der politischen

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