Ein plötzlicher Todesfall
für Colin eine einzige lange Schlacht gegen Schmerz und Enttäuschung, und alle auÃer seiner Frau waren Feinde, bis das Gegenteil bewiesen war.
Er war schon drauf und dran, nach unten zu laufen und Tessa zu erzählen, was er gerade gesehen hatte, weil sie ihm vielleicht eine unschuldige Erklärung für Marys Abendspaziergang geben und ihm versichern könnte, dass die Witwe seines besten Freundes ihrem Mann stets treu gewesen war. Doch er widerstand dem Verlangen, weil er wütend auf Tessa war.
Warum zeigte sie ein so kategorisches Desinteresse an seiner bevorstehenden Kandidatur für den Gemeinderat? Merkte sie denn nicht, wie stark der Würgegriff seiner Angst geworden war, seit er seine Bewerbung abgeschickt hatte? Obwohl er damit gerechnet hatte, wurde die Qual nicht dadurch gelindert, dass er sie erwartet hatte. Den Zug auf sich zukommen zu sehen, der einen schlieÃlich überrollen wird, macht das Unglück nicht weniger verheerend. Colin litt eben doppelt: schon in der Erwartung und dann im späteren Durchleben.
Seit kurzem kreisten seine alptraumhaften Phantasien um die Mollisons und darum, auf welche Weise sie ihn wohl angreifen würden. Ständig gingen ihm Gegenargumente, Erklärungen und Beschönigungen durch den Kopf. Er sah sich bereits belagert, um seinen Ruf kämpfend. Die leichte Paranoia, die in Colins Umgang mit der Welt stets präsent war, wurde stärker; und Tessa tat derweilen so, als merkte sie nichts, leistete ihm keinerlei Beistand, die erdrückende Belastung zu tragen.
Er wusste, dass er ihrer Meinung nach nicht kandidieren sollte. Vielleicht befürchtete sie ebenfalls, dass Howard Mollison den prall gefüllten Bauch ihrer Vergangenheit aufschlitzen und all ihre Geheimnisse hervorzerren würde, damit die Aasgeier von Pagford sich darauf stürzen konnten.
Colin hatte bereits ein paar von Barrys alten Unterstützern angerufen. Es hatte ihn überrascht und erfreut, dass keiner seine Eignung in Frage gestellt oder ihn über seine Themen befragt hatte. Ohne Ausnahme hatten sie ihr gröÃtes Bedauern über den Verlust von Barry geäuÃert sowie ihre starke Abneigung gegen Howard Mollison oder »den fetten selbstgefälligen Drecksack«, wie einer ihn genannt hatte. »Versucht seinen Sohn mit âner Brechstange reinzubringen. Konnte sich das Grinsen kaum verkneifen, als er gehört hat, dass Barry tot ist.« Colin, der eine Liste von Argumenten pro Fields zusammengestellt hatte, brauchte sie kein einziges Mal zu Hilfe nehmen. Bisher sprach für ihn als Kandidat hauptsächlich, dass er Barrys Freund gewesen war und nicht Mollison hieÃ.
Auf dem Computerbildschirm lächelte ihm sein verkleinertes Selbst in Schwarzweià entgegen. Er hatte den ganzen Abend hier gesessen und versucht, seine Wahlbroschüre zu entwerfen, für die er dasselbe Foto wie auf der Website der Winterdown verwenden wollte, eines mit dem Betrachter zugewandtem Gesicht, verhaltenem Lächeln, die Stirn hoch und glänzend. Für das Foto sprach, dass es dem Blick der Ãffentlichkeit bereits ausgesetzt gewesen war und ihn nicht zur Zielscheibe des Gespötts gemacht hatte: eine starke Empfehlung. Aber unter dem Foto, wo die persönlichen Angaben hätten stehen sollen, standen erst ein oder zwei zaghafte Sätze. Colin hatte die letzten beiden Stunden damit zugebracht, sie hinzutippen und die Wörter dann wieder zu löschen, irgendwann hatte er sogar einen ganzen Absatz geschafft, nur um ihn, Buchstabe für Buchstabe, mit nervös tippenden Zeigefingern wieder zu entfernen.
Unfähig, die Mutlosigkeit und Einsamkeit noch länger zu ertragen, sprang er auf und ging nach unten. Tessa lag auf dem Sofa im Wohnzimmer und döste, im Hintergrund lief der Fernseher.
»Kommst du voran?«, fragte sie schläfrig und schlug die Augen auf.
»Mary ist gerade vorbeigegangen. Die StraÃe hinauf, zusammen mit Gavin Hughes.«
»Ah ja«, sagte Tessa. »Sie hat vorhin etwas davon gesagt, dass sie zu Miles und Samantha wollte. Gavin muss auch da gewesen sein. Er bringt sie wahrscheinlich nach Hause.«
Colin war entsetzt. Mary besuchte Miles, den Mann, der in die FuÃstapfen ihres Gatten treten wollte, der gegen alles war, wofür Barry gekämpft hatte?
»Was um alles in der Welt hat sie bei den Mollisons gemacht?«
»Sie sind mit ihr ins Krankenhaus gefahren, das weiÃt du doch.« Tessa setzte
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