Ein plötzlicher Todesfall
Schlafzimmertür hinter sich schloss, dachte Shirley: Er schiebt sein Herz vor .
Er hatte gesagt: »Sei nicht albern, Shirl.« Und dann: »Das ist Quatsch, völliger Blödsinn.« Und sie war nicht weiter in ihn gedrungen. All die Jahre, in denen unangenehme Themen vornehm umschifft wurden (Shirley war buchstäblich sprachlos gewesen, als die dreiundzwanzigjährige Patricia gesagt hatte: »Ich bin lesbisch, Mum«), hatten ihr anscheinend einen Maulkorb verpasst.
Es klingelte an der Tür. Lexie sagte: »Dad hat mir gesagt, ich soll herkommen. Er und Mum hätten zu tun. Wo ist Grandpa?«
»Im Bett«, antwortete Shirley. »Er hat es gestern Abend ein bisschen übertrieben.«
»Die Party war schön, oder?«
»Ja, wunderschön«, erwiderte Shirley, in der sich ein Gewitter zusammenbraute.
Kurz darauf hatte das Geschnatter ihrer Enkelin Shirley zermürbt.
»Komm, wir gehen ins Café und essen dort zu Mittag«, schlug sie vor. »Howard«, rief sie durch die geschlossene Schlafzimmertür, »ich nehme Lexie mit ins Copper Kettle zum Lunch.«
Seine Zustimmung klang besorgt, und sie war froh darüber. Vor Maureen hatte sie keine Angst. Sie würde ihr geradewegs ins Gesicht sehen â¦
Unterwegs jedoch kam Shirley in den Sinn, Howard könnte Maureen angerufen haben, sobald sie den Bungalow verlassen hatte. Sie war so dumm. Irgendwie hatte sie sich vorgestellt, nachdem sie selbst mit Maureen telefoniert hatte, um ihr zu sagen, dass Howard krank sei, die Kommunikation zwischen den beiden sei damit unterbrochen. Sie vergaàâ¦
Die vertrauten, ach so geliebten StraÃen erschienen ihr anders, fremd. RegelmäÃig hatte sie das Bild, das sie dieser schönen kleinen Welt präsentierte, retuschiert: Ehefrau und Mutter, ehrenamtliche Helferin im Krankenhaus, Sekretärin des Gemeinderats, Gattin des First Citizen. Und Pagford, das ihr höfliche Achtung bezeugte, war ihr Spiegel gewesen, in dem sie ihren Nutzen und Wert reflektiert sah. Doch der Geist von Barry Fairbrother hatte einen Stempel genommen und der makellosen Oberfläche ihres Lebens eine Enthüllung aufgedrückt, die alles zunichtemachen würde. »Ihr Mann hat mit seiner Geschäftspartnerin geschlafen, und sie hatte keine Ahnung â¦Â«
Nur darüber würde man reden, sobald ihr Name fiel, das wäre alles, was man über sie in Erinnerung behalten würde.
Sie schob die Tür zum Café auf, die Glocke läutete, und Lexie sagte: »Da ist Erdnuss Price.«
»Alles in Ordnung mit Howard?«, krächzte Maureen.
»Nur müde«, erwiderte Shirley. Sie ging in aller Ruhe an einen Tisch und setzte sich. Ihr Herz klopfte so schnell, dass sie sich schon fragte, ob sie nicht auch einen Infarkt bekommen würde.
»Richte ihm aus, dass die Mädchen beide nicht aufgekreuzt sind«, sagte Maureen verärgert. »Und keins hat es für nötig befunden anzurufen. Zum Glück haben wir nicht viel zu tun.«
Lexie ging an die Theke, um mit Andrew zu reden, der als Kellner arbeitete. Shirley wurde sich ihres ungewöhnlichen Alleinseins am Tisch bewusst, und ihr fiel Mary Fairbrother ein, aufrecht und ausgemergelt auf Barrys Beerdigung, den Witwenstand um sich drapiert wie die Schleppe einer Königin. Das Mitleid, die Huldigung. Mit dem Verlust ihres Mannes war Mary die stille Empfängerin von Bewunderung geworden, während sie, Shirley â an einen Mann gekettet, der sie betrogen hatte â, in Schäbigkeit gehüllt war, eine Zielscheibe für Spott und Hohn.
(In Yarvil waren vor langer Zeit Männer über Shirley hergezogen wegen des Leumunds ihrer Mutter, obwohl sie selbst so rein wie irgend möglich gewesen war.)
»Grandpa ist krank«, sagte Lexie gerade zu Andrew. »Was sind denn das für Kuchen?«
Er bückte sich unter die Theke, um sein rotes Gesicht zu verstecken.
Ich habe mit deiner Mutter rumgeknutscht .
Andrew hätte sich beinahe vor der Arbeit gedrückt. Er hatte befürchtet, Howard würde ihn auf der Stelle feuern, weil Andrew seine Schwiegertochter geküsst hatte, und hatte eine Heidenangst, dass Miles Mollison auf der Suche nach ihm hereinstürmen könnte. Gleichzeitig war er klug genug, um zu wissen, dass letztlich Samantha â die musste weit über vierzig sein, dachte er unbarmherzig â als Schurkin in diesem Stück dastehen würde.
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