Ein plötzlicher Todesfall
Mitgefühl entgegenbrachte. Im Gegenzug lieà Colin nichts auf sie kommen und war ihr hartnäckigster Verteidiger in Pagford. Eine »hervorragende Ãrztin« blaffte er jeden an, der wagte, sie in seiner Gegenwart zu kritisieren. »Die beste, die ich je hatte.« Parminder hatte nur wenige Verteidiger, war bei der alten Garde von Pagford unbeliebt, da sie den Ruf hatte, nur widerwillig Antibiotika zu verschreiben und Rezepte zu erneuern.
»Wenn Howard Mollison seinen Willen durchsetzt, wird es keine Neuwahlen geben«, sagte Parminder.
»Wie meinst du das?«
»Er hat eine E-Mail an alle geschickt. Kam vor einer halben Stunde.«
Parminder wandte sich zu ihrem Computer um, gab ein Passwort ein und klickte auf den Posteingang. Sie drehte den Bildschirm so, dass Tessa die Mail von Howard lesen konnte. Im ersten Absatz wurde Bedauern über Barrys Tod ausgedrückt. Im nächsten wurde angeregt, da von Barrys Amtszeit bereits ein Jahr abgelaufen sei, seinen Sitz durch Kooptation neu zu besetzen, statt die Mühen von Neuwahlen auf sich zu nehmen.
»Er hat bereits jemanden in petto«, sagte Parminder. »Er versucht, einen SpieÃgesellen mit der Brechstange unterzubringen, bevor ihn jemand aufhalten kann. Würde mich nicht wundern, wenn es Miles ist.«
»Bestimmt nicht«, widersprach Tessa sofort. »Miles war mit Barry im Krankenhaus ⦠Nein, es hat ihn sehr mitgenommen.«
»Du bist so verdammt naiv, Tessa«, sagte Parminder, und Tessa erschrak über die Härte in der Stimme ihrer Freundin. »Du weiÃt nicht, wie Howard Mollison ist. Er ist ein niederträchtiger Mensch, niederträchtig. Du hast ihn nicht erlebt, als er herausfand, dass Barry wegen Fields an die Zeitung geschrieben hatte. Du weiÃt nicht, was er mit der Methadonklinik vorhat. Wartâs nur ab, du wirst schon sehen.«
Ihre Hand zitterte so sehr, dass es sie einige Versuche kostete, bis sie die Mail von Howard Mollison schlieÃen konnte.
»Du wirst schon sehen«, wiederholte sie. »Gut, wir sollten weitermachen, Laura muss in ein paar Minuten gehen. Erst mal messe ich deinen Blutdruck.«
Parminder tat Tessa mit diesem späten Termin, nach der Schule, einen Gefallen. Die Arzthelferin, die in Yarvil wohnte, würde Tessas Blutprobe auf ihrem Heimweg im Krankenhaus abgeben. Tessa war nervös und kam sich seltsam schutzlos vor, als sie den Ãrmel ihrer alten grünen Wolljacke hochschob. Die Ãrztin legte ihr die Manschette mit dem Klettverschluss um den Oberarm. Aus der Nähe war Parminders Ãhnlichkeit mit ihrer mittleren Tochter deutlich zu erkennen, ihr unterschiedlicher Körperbau (Parminder war drahtig, Sukhvinder drall) trat in den Hintergrund, und die Gemeinsamkeit ihrer Gesichtszüge machte sich bemerkbar: die Hakennase, der breite Mund mit der vollen Unterlippe, die groÃen, runden dunklen Augen. Die Manschette zog sich schmerzhaft um Tessas Oberarm zusammen, während Parminder den Druckmesser im Auge behielt.
»Hundertfünfundsechzig zu achtundachtzig«, sagte Parminder stirnrunzelnd. »Das ist hoch, Tessa, zu hoch.«
Mit geschickten Bewegungen entfernte sie die Verpackung der sterilen Spritze, rückte Tessas mit Leberflecken bedeckten Arm gerade und stach mit der Nadel in die Armbeuge.
»Ich fahre morgen mit Stuart nach Yarvil«, sagte Tessa, den Blick zur Decke gerichtet. »Um ihm für die Beerdigung einen Anzug zu kaufen. Ich ertrage die Szene nicht, die es geben wird, wenn er versucht, in Jeans zu gehen. Colin wird völlig durchdrehen.«
Sie versuchte ihre Gedanken von der dunklen Flüssigkeit abzulenken, die in das kleine Plastikröhrchen floss. Sie befürchtete, das Blut würde sie verraten, würde aufdecken, dass sie nicht so brav gewesen war, wie sie hätte sein sollen, und all die Schokoriegel und Muffins, die sie gegessen hatte, als verräterische Glukose auftauchen lassen.
Dann dachte sie verbittert, wie viel leichter sie der Schokolade widerstehen könnte, wenn ihr Leben weniger anstrengend wäre. Da sie den gröÃten Teil ihrer Zeit darauf verwendete, anderen zu helfen, und dabei Abgründe gesehen hatte, mochte sie nicht einsehen, was ausgerechnet an Muffins so böse sein sollte. Während sie Parminder beim Beschriften der Röhrchen mit ihrem Blut zusah, hoffte sie insgeheim â obwohl ihr Mann und ihre Freundin es als Ketzerei angesehen hätten â,
Weitere Kostenlose Bücher