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Ein plötzlicher Todesfall

Ein plötzlicher Todesfall

Titel: Ein plötzlicher Todesfall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joanne K. Rowling
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ob Simon andere überhaupt als menschliche Wesen betrachtete.
    Wieso sein Vater den Ehrgeiz hatte, auf einer größeren Bühne aufzutreten, konnte Andrew nicht begreifen, aber es würde unweigerlich zur Katastrophe führen. Andrew kannte andere Eltern, die zum Beispiel Fahrradtouren zu wohltätigen Zwecken organisierten, um Geld für die neue Weihnachtsbeleuchtung des Marktplatzes zu sammeln, Pfadfindergruppen leiteten oder Buchclubs ins Leben riefen. Simon verweigerte alles, was Zusammenarbeit erforderte, und hatte nie auch nur das geringste Interesse an etwas gezeigt, von dem er nicht unmittelbar profitierte.
    Schreckliche Visionen schossen durch Andrews aufgewühlte Gedanken: Simon, der eine Rede hielt, gespickt mit all den durchsichtigen Lügen, die seine Frau unbesehen schluckte. Simon, der einen Gegner mit seinem Neandertalergesicht einzuschüchtern versuchte. Simon, der die Kontrolle verlor und all seine Lieblingsschimpfworte in ein Mikrofon brüllte: verkackt, verfickt, pissig, beschissen …
    Andrew zog den Laptop zu sich heran, schob ihn aber gleich wieder weg. Er machte keine Anstalten, sein Handy vom Schreibtisch zu nehmen. Der Horror und die Scham ließen sich nicht in einer SMS oder einer Mail unterbringen. Er war allein damit, selbst Fats würde es nicht verstehen, und Andrew wusste nicht, was er tun sollte.

Freitag
    Barry Fairbrothers Leiche war zum Bestattungsunternehmen gebracht worden. Die schwarzen Schnitte im weißen Schädel, wie von Schlittschuhen eingekerbte Rillen im Eis, waren unter seinem dichten Haarschopf verborgen. Kalt und wächsern lag die Leiche, bekleidet mit Barrys Frackhemd und Hose vom Hochzeitstag, in dem schwach erleuchteten Aufbahrungsraum, in dem leise Musik erklang. Diskrete Schminke verlieh seiner Haut einen beinahe lebendigen Schimmer. Es sah fast aus, als schliefe er.
    Barrys beide Brüder, seine Witwe und seine vier Kinder wollten am Abend vor der Beerdigung Abschied von ihm nehmen. Mary war fast bis zur letzten Minute unentschlossen, ob sie allen Kindern erlauben sollte, die sterblichen Überreste ihres Vaters zu sehen. Declan war empfindsam und neigte zu Alpträumen. Ausgerechnet in dieser Situation, während sie noch mit einer Entscheidung rang, war es zu einem unschönen Vorfall gekommen.
    Auch Colin »Pingel« Wall hatte beschlossen, sich von Barry zu verabschieden. Mary, für gewöhnlich entgegenkommend und liebenswürdig, hatte das für übertrieben gehalten. Ihre Stimme war am Telefon Tessa gegenüber schrill geworden, dann hatte sie wieder zu weinen begonnen und gesagt, sie hätte eben kein großes Defilee geplant, es sei eigentlich nur eine Familienangelegenheit. Tessa entschuldigte sich vielmals, sagte, sie könne das gut verstehen. Dann musste sie es Colin wohl oder übel erklären, der sich in gekränktes Schweigen zurückzog.
    Er hatte doch nur neben Barrys Leiche stehen und einem Mann, der einen ganz besonderen Platz in seinem Leben eingenommen hatte, schweigend seine Ehrerbietung erweisen wollen. Colin hatte Wahrheiten und Geheimnisse, die er niemand anderem anvertraut hatte, vor Barry ausgebreitet, und Barrys braune Knopfaugen, glänzend wie die eines Rotkehlchens, hatten niemals aufgehört, ihn voller Wärme und Freundlichkeit zu betrachten. Colin hatte nie einen so engen Freund gehabt wie Barry, der ihm männliche Kameradschaft entgegenbrachte, wie er sie vor seinem Umzug nach Pagford nicht gekannt hatte und bestimmt auch nie wieder erleben würde. Dass er, Colin, der sich ständig als Außenseiter und Exzentriker fühlte, für den das Leben ein täglicher Kampf war, es geschafft hatte, Freundschaft mit dem fröhlichen, beliebten und ewig optimistischen Barry zu schließen, war ihm stets wie ein kleines Wunder vorgekommen. Colin klammerte sich an das, was von seiner Würde noch übrig war, beschloss, es Mary nie vorzuhalten, und sann den restlichen Tag darüber nach, wie sehr dieses Verhalten seiner Witwe Barry sicherlich überrascht und verletzt hätte.
    Drei Meilen außerhalb von Pagford, in einem hübschen Cottage, das »The Smithy« genannt wurde, versuchte Gavin Hughes, gegen seine zunehmende Niedergeschlagenheit anzukämpfen. Mary hatte ihn vor einiger Zeit angerufen. Mit tränenerstickter Stimme hatte sie erklärt, was sich die Kinder alles für die Beisetzung am nächsten Tag ausgedacht hatten. Siobhan hatte eine

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