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Ein plötzlicher Todesfall

Ein plötzlicher Todesfall

Titel: Ein plötzlicher Todesfall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joanne K. Rowling
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Familie zurück.
    Gavin blieb zögernd stehen. Parminder merkte, dass er unsicher war, wohin er sich wenden sollte. Ihm blieb nur die Möglichkeit, vor den Augen von dreihundert Menschen durch den Mittelgang zurückzugehen. Aber Mary musste ihm ein Zeichen gegeben haben, denn er rutschte, knallrot im Gesicht, rasch in die erste Bank neben Barrys Mutter. Parminder hatte nur ein einziges Mal mit Gavin gesprochen, als sie ihn gegen Chlamydien behandelt hatte. Danach war er ihren Blicken immer ausgewichen.
    Â»Ich bin die Auferstehung und das Leben, sagt der Herr. Wer an mich glaubt, der wird leben, ob er gleich stürbe. Und wer da lebt und glaubet an mich, der wird nimmermehr sterben …«
    Der Pfarrer klang nicht, als interessiere ihn der Sinn der Worte, die aus seinem Mund kamen, sondern nur die Art des Vortrags, die ein rhythmischer Singsang war. Parminder kannte seinen Stil, hatte jahrelang mit den anderen Eltern an Weihnachtsgottesdiensten für die Schüler von St. Thomas teilgenommen. Die lange Bekanntschaft hatte sie weder mit dem bleichen Krieger-Heiligen versöhnt, der da auf sie herabstarrte, noch mit all dem dunklen Holz der harten Kirchenbänke, dem fremdartigen Altar und dem mit Edelsteinen geschmückten Goldkreuz, und auch nicht mit den klagenden Kirchenliedern, die sie frösteln ließen.
    Daher wandte sie ihre Aufmerksamkeit vom selbstgefälligen Geleier des Pfarrers ab und dachte wieder an ihren Vater. Sie hatte ihn vom Küchenfenster aus auf dem Rasen liegen sehen, flach, auf dem Gesicht, und ihr Radio hatte noch in voller Lautstärke geplärrt. Er hatte dort zwei Stunden gelegen, während sie mit ihrer Mutter und ihren Schwestern bei Topshop einkaufen war. Immer noch konnte sie die Schulter ihres Vaters unter dem heißen Hemd spüren, als sie ihn geschüttelt hatte. »Dadiii. Dadiiii.«
    Sie hatten Darshans Asche in dem traurigen kleinen Fluss Rea in Birmingham verstreut. Parminder konnte sich an die trübe Lehmfarbe des Wassers erinnern, an einen bedeckten Tag im Juni, an die kleinen grauen und weißen Flocken, die von ihr forttrieben.
    Mit einem dumpfen Geräusch erwachte die Orgel zum Leben, und Parminder erhob sich mit allen anderen. Sie erhaschte einen flüchtigen Blick auf Niamhs und Siobhans rotgoldene Köpfe. Die beiden waren genauso alt wie sie, als Darshan gestorben war. Eine Woge von Zärtlichkeit erfasste Parminder, ein mitfühlender Schmerz und das Verlangen, sie in die Arme zu nehmen und ihnen zu sagen, sie wisse und verstünde …
    Morning has broken, like the first morning …
    Gavin hörte eine schrille Diskantstimme aus seiner Reihe, Barrys jüngster Sohn hatte den Stimmbruch noch vor sich. Er wusste, dass Declan das Lied ausgewählt hatte. Das war ein weiteres grausiges Detail des Trauergottesdienstes, das Mary ihm unbedingt hatte mitteilen wollen.
    Er fand die Beerdigung sogar noch quälender, als er sie sich vorgestellt hatte. Ein Holzsarg wäre ihm lieber gewesen, denn er glaubte, er habe Barrys Leiche durch das leichte Korbgeflecht wahrgenommen. All diese selbstgefällig starrenden Menschen, als er den Mittelgang entlanggeschritten war. Begriffen sie denn nicht, was er da trug?
    Dann der furchtbare Augenblick, als er merkte, dass ihm niemand einen Platz frei gehalten hatte, er also den ganzen Gang zurückgehen und sich unter den Stehenden verstecken müsste. Doch stattdessen war er gezwungen worden, in der ersten Bank zu sitzen, allen Blicken ausgesetzt. Das war wie auf dem vordersten Sitz in einer Achterbahn, wo man die Wucht jedes Schlingerns und Ruckelns zu spüren bekam.
    Als er da saß, nur wenige Zentimeter von Siobhans Sonnenblume entfernt, die Blüte so groß wie ein Topfdeckel, eingebettet zwischen gelben Freesien und Lilien, wünschte er sich, dass Kay doch mitgekommen wäre. Kaum zu glauben, aber so war es. Jemand an seiner Seite, jemand, der ihm einfach einen Platz frei hielt, hätte ihn getröstet. Er hatte nicht gedacht, wie traurig er dastehen würde, wenn er allein auftauchte.
    Das Lied war zu Ende. Barrys älterer Bruder ging nach vorne. Gavin versuchte sich vorzustellen, wie es sein musste, Barrys Leiche in dem lächerlichen Sarg direkt vor sich zu haben, während er ein paar Worte sprach. Er wollte gar nicht erst wissen, wie Mary es schaffte, so ruhig dazusitzen, mit gesenktem Kopf, den Blick anscheinend auf die gefalteten Hände gerichtet.

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