Ein Pony mit Herz
verdorrten Kräutern, aber Hunger hatte sie in den letzten Tagen nicht mehr gelitten. Es war also nicht nötig, sich mit dem spärlichen Angebot zu befassen.
Da drüben standen ihre Stallgenossen auf der Koppel und sahen erstaunt zu ihr herüber. Doch ihr rotweiß gescheckter Freund war nicht darunter. Den mußte sie anderswo suchen. Panja legte einen schwungvollen Trab ein.
Sie war so damit beschäftigt, ihren Ausflug zu genießen, daß sie das näherkommende Hufgetrappel beinahe überhört hatte. Von der anderen Seite her mußten sich ihr zwei Reiter nähern, denn sie vernahm auch Menschenstimmen. Panja wich erschrocken aus und verbarg sich hinter einem dichten Schlehengebüsch. Die Reiter bemerkten sie nicht, sie waren eifrig in ihr Gespräch vertieft. Panja wartete, bis sie sich entfernt hatten, dann setzte sie ihren Spaziergang fort.
Nach einer Weile kam sie zu einer Ansammlung großer Gebäude, in denen offensichtlich viele Artgenossen lebten. Magisch angezogen von den Köpfen, die sich ihr aus Boxenfenstern neugierig zuwandten und ihr ein Wiehern entgegenschickten, schritt Panja auf sie zu. Dort drüben stand eine Stalltür offen. Einen kleinen Rundgang konnte sie riskieren, weit und breit schien auch hier kein Mensch auf dem Hof zu sein. Und vielleicht entdeckte sie ihren Freund ja in diesem Stall!
Panja spazierte seelenruhig die Stallgasse entlang, genau in dem Augenblick, als Bille in der Reithalle zu Lena sagte: „Ich glaube, das reicht für heute. Willst du Zottel zum Stall hinüberbringen, oder willst du uns noch eine Weile zuschauen, Black Arrow und mir?“
„Was denkst du denn! Zuschauen, natürlich!“
„Gut. Setz dich auf die Tribüne, da siehst du besser. Zottel kann ruhig in der Halle spazierengehen!“
Bille holte die Krücken, die sie hinter der Tür abgestellt hatte, und half Lena aus dem Sattel. Die Krücken unter die Arme geklemmt, schob das Mädchen geschickt die Steigbügel hinauf und löste den Sattelgurt. Es dauerte eine Weile, bis sie alles zu ihrer Zufriedenheit erledigt hatte, aber Bille mischte sich nicht ein. Sie wußte, wie wichtig es für Lena war, sich und anderen immer wieder ihre Selbständigkeit zu beweisen.
„Vielleicht sollte ich Zottel doch erst in den Stall hinüberbringen?“ überlegte Lena. „Damit er Black Arrow und dir nicht in die Quere kommt.“
„Ach was“, widersprach Bille. „Du weißt ja, Black Arrow und Zottel sind die dicksten Freunde. Wenn er stört, kannst du ihn immer noch rausbringen!“
„Und wenn Florian gleich mit seiner Florentine kommt?“ Bille lachte. „Dann allerdings muß sich Zottel unsichtbar machen. Flori nimmt die Arbeit mit seiner Prinzessin so bitter ernst, daß ihm jeder Humor abhanden kommt. Manchmal habe ich den Eindruck, er liebt seine Stute mehr als seine Freundin Nico.“
Unbemerkt hatte sich Florian der Reithalle genähert. Jetzt erschien er grinsend auf der Tribüne. Natürlich hatte er den letzten Satz gehört.
„Dafür gibt es eine völlig logische Erklärung!“ erklärte er ungerührt. „Florentine ist sensibel und hat äußerst zarte Nerven. Nico hat Nerven wie Drahtseile und die Kondition eines afrikanischen Nasho ...“ Das Wort ging in einem Krächzen unter, und Florians Gesichtsfarbe wechselte in schneller Folge von Rot auf Weiß und wieder auf Rot. Sein Blick war zufällig durchs Fenster auf den Hof gefallen. Da spazierte aus dem Stall gegenüber geradewegs auf die Reithalle zu ... Lenas strenggeheimes Geburtstagsgeschenk! „Das darf nicht wahr sein ... Ich glaub, ich ...“ mit einem Satz war Florian an der Tür.
„Was ist los, ist dir schlecht?“ erkundigte sich Bille mitfühlend.
„Wird mir gleich. Da draußen ... da draußen ...“, stotterte Florian und suchte vergeblich nach einer glaubwürdigen Ausrede. „Da passiert etwas Furchtbares! Bleibt ja hier drin und rührt euch nicht vom Fleck, bis ich Entwarnung gebe! Volle Deckung!“
Bille konnte sich keinen Reim auf Florians merkwürdiges Verhalten machen. Sollte das ein Witz sein? Spielte er ihnen Theater vor? Oder handelte es sich wirklich um eine ernste Gefahr?
Florian war hinausgestürmt. Sie hörten seine Schritte, gleich darauf Hufgetrappel, in das sich eine zweite Stimme und unterdrückte Flüche mischten. Dann war alles still.
Lena sah Bille ängstlich an. „Was ist denn bloß los? Ich höre gar nichts mehr!“
„Keine Ahnung“, sagte Bille, „aber wir werden es sicher gleich erfahren. Mach dir keine Sorgen. Wenigstens wissen
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