Ein Prinz wie aus 1001 Nacht
sie auch viel zu glücklich, diesen Job überhaupt bekommen zu haben.
Es war jetzt mehr als sieben Monate her, seit Kirsten, ohne eine Nachricht zu hinterlassen, von zu Hause weggegangen war. Donald war Jeanies Bruder. Er und seine Frau Elspeth waren in dieser Zeit sehr gut zu ihr gewesen. Sie hatten sie aus Jeanies Elternhaus nach London mitgenommen, ihr einen Job in dem Café verschafft, in dem Donald als Geschäftsführer arbeitete, und ihr anfangs sogar ihr Gästezimmer untervermietet.
In den ersten Monaten machte Kirsten so viele Überstunden wie möglich, um sich Rücklagen für die Miete eines kleinen Einzimmerapartments zu schaffen. Zunächst hatte sie sich in der Großstadt ziemlich verloren gefühlt und häufig von den majestätischen Bergen und der Ruhe in dem abgelegenen Tal ihrer Heimat geträumt. Dennoch weigerte sie sich von Anfang an, zurückzuschauen oder über ihr Schicksal zu jammern. Mit Squeak im Schlepptau, erkundete sie sämtliche Parks und Grünflachen Londons und konzentrierte sich darauf, alle Kraft in eine bessere, hellere Zukunft zu investieren.
Die Entscheidung, an ihre Musikausbildung anzuknüpfen, fiel ihr nicht schwer. Doch obwohl sie über die erforderlichen Fähigkeiten im Fach Musik verfügte, fehlten ihr noch Diplome in anderen Bereichen, um eventuell in Grundkursen unterrichten zu können. Kirsten war direkt froh darüber, dass sie es seit Jahren gewohnt war, ein bescheidenes Leben zu führen und mit dem Notwendigsten auszukommen. Ja, sie war sogar stolz darauf, aus eigener Kraft mehr aus ihrem Leben zu machen, als ihr Vater es ihr je zugebilligt hätte.
In jeder Hinsicht schienen sich ihre Träume von einer unabhängigen Zukunft zu erfüllen, und Kirsten befürchtete schon, dass alles zu gut lief, um wahr zu sein – und sie behielt recht …
Patsy, eine andere Kellnerin war in die Küche gekommen, um leere Ketchupflaschen aufzufüllen, und musterte Kirsten mit einem kritischen Blick. „Du siehst aus, als könnte dich der nächste Windstoß umpusten“, sagte sie und legte in mütterlicher Besorgnis eine Hand auf den Arm ihrer jungen Kollegin. „Du bist viel zu dünn. Wann warst du das letzte Mal bei einem Arzt?“
„Ich war schon immer ziemlich dünn“, gab Kirsten als Antwort zurück. Es war ihr peinlich, zuzugeben, dass sie ihren letzten Arzttermin verschlafen hatte. „Du brauchst dir also keine Sorgen um mich zu machen.“
„Na, ich weiß nicht. Du siehst so schwach aus, als könntest du nicht mal einen Teelöffel anheben, und das Baby soll schon in wenigen Wochen kommen.“
„Mir geht es gut“, behauptete Kirsten.
Sie war bereits im vierten Monat schwanger, ehe ihr auffiel, dass ihre morgendliche Übelkeit keineswegs von einer Magenverstimmung herrührte. Anfangs war sie so unglücklich in London gewesen, dass ihr weder Zeit noch Kraft blieb, an irgendetwas anderes zu denken als ans reine Überleben – und an den Mann, dessen Bild sie Tag und Nacht verfolgte. Verbissen wehrte sie sich dagegen, indem sie neben ihrer Schicht im Café jede freie Minute mit Kursen belegte, und unter dem selbst herbeigeführten Stress fiel Kirsten dann auch nicht auf, dass ihre Tage seit Wochen ausgeblieben waren.
Erst die Diagnose des Arztes, den sie nach langem Drängen ihres Chefs und ihrer wohlmeinenden Kolleginnen aufgesucht hatte, öffnete ihr die Augen. Zunächst jagte ihr der Gedanke an eine Zukunft als alleinerziehende Mutter eine Heidenangst ein.
Später verwandelten sich ihre Angst und Mutlosigkeit in Zorn auf Shahir. Wie hatte er nur so unverantwortlich und sorglos sein können? Während er nach außen hin so allwissend, kühl und beherrscht wirkte, verbarg sich hinter dieser Fassade eine Wildheit und Rücksichtslosigkeit, die Kirsten immer noch heiße Schauer über den Rücken jagte, wenn sie daran zurückdachte.
Einen Moment lang war Kirsten sogar versucht gewesen, ihn anzurufen und ihm von dem Baby zu erzählen, doch er hatte sie eine Diebin und Betrügerin genannt. Außerdem hatte er ihr mehr als deutlich zu verstehen gegeben, wie sehr er es bereute, mit ihr geschlafen zu haben – und zu allem Überfluss war er auch noch in eine andere Frau verliebt …
Als ihre Schicht zu Ende war, hüllte Kirsten sich in ihren weiten Mantel, der viel zu dünn für diese Jahreszeit war, aber ihren Schwangerschaftsbauch geschickt verbarg. Das trübe Licht der Straßenlaternen warf bizarre Schatten auf den nassen Bürgersteig. Kirsten schlug ihren Kragen hoch und wollte sich
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