Ein Prinz wie aus dem Maerchen
sich vom Anblick des Messers los, das noch immer im Holz
wippte. Endlich dämmerte ihr, dass Unberührtheit für
ihn ungeheuer wichtig war. Es war altmodisch und zugleich sonderbar
süß, dass er zu solch barbarischen Mitteln greifen wollte,
um ihren vermeintlichen Makel zu verbergen. Ihr Wüstenkrieger
war bereit, sein eigenes Blut zu vergießen und für sie zu
lügen.
"Tariq
…", begann sie zögernd. "Ich verstehe nicht,
warum wir überhaupt darüber sprechen."
"Als
wir uns zum ersten Mal trafen, nahm ich fälschlicherweise an,
dass du genauso unschuldig seist, wie du wirktest." Er zuckte
die Schultern. "Aber das war ein Kindertraum. Viele arabische
Männer hängen ähnlichen Fantasien nach, aber ich bin
in meinen Ansichten inzwischen zeitgenössischer."
Zeitgenössischer? Seine sonderbare Wortwahl erstaunte Faye. Unwillkürlich glitt
ihr Blick zum Dolch hinüber. Die widersprüchlichsten
Emotionen kämpften in ihr, ohne dass sie sie hätte benennen
können. Tariq ibn Zachir war ein feudaler Prinz. Seine scheinbar
kühle Weltgewandtheit hatte sie damals irregeführt. Dicht
unter der Oberfläche verbarg sich ein konservativer Mann, den
sie erst viel zu spät entdeckt hatte. Der Mann mit dem Ruf eines
Schürzenjägers, der dennoch schockiert gewesen war, als sie
ihn eingeladen hatte, bei ihr zu übernachten.
Warum?
Erst jetzt durchschaute sie den Grund. Bis zu dieser fatalen
Aufforderung hatte Tariq sie auf ein Podest gehoben und mit dem
Etikett "rein wie frisch gefallener Schnee" versehen. Und
dann hatte sie seinen Glauben an sein Bild von ihr so gründlich
erschüttert, dass er entschieden hatte, er habe sie nie richtig
gekannt. Sie hatte ihm diese Annahme erleichtert, indem sie scheinbar
in den Plan ihres Stiefvaters verwickelt gewesen war, Geld aus der
Beziehung zu schlagen.
Errötend
meinte sie: "Du scheinst dir ziemlich sicher zu sein, dass ich
schon andere Liebhaber hatte."
"Was
sollte ich denn sonst nach deiner Einladung letztes Jahr denken?"
Somit
wären sie wieder bei jenem verhängnisvollen Telefonat, bei
dem sie ihn praktisch gebeten hatte, mit ihr zu schlafen. Knapp zwölf
Monate waren seither vergangen, und noch heute litt sie unter den
Auswirkungen. Während sie damals geglaubt hatte, sie sei kühn
und romantisch, hatte er sie als vulgär und billig eingestuft.
"Was
wäre, wenn ich dir sagen würde, dass es keine anderen
Männer gegeben hat?"
"Ich
würde antworten, dass du mich in diesem Punkt nicht anzulügen
brauchst."
"Aber
ich lüge nicht! Wenn du so viel Respekt vor der Unschuld einer
Frau hast, solltest du dann nicht die Finger von mir lassen?"
Er
lächelte. "Nein."
"Warum
nicht?"
"Du
bist etwas ganz Besonderes. Deine verzweifelten Versuche, mich
umzustimmen, sind zum Scheitern verurteilt. Ich verstehe nicht, warum
du es überhaupt probierst. Jeder deiner Blicke verrät, wie
sehr du dich danach sehnst, meine Hände auf deiner Haut zu
spüren. Das habe ich schon bei unserem ersten Treffen in der
Haja bemerkt."
"Wirklich?"
Fayes Wangen glühten.
"Dein
Verlangen verschaffte mir ein ungeheures Triumphgefühl –
ein Fehler, wie ich zugeben muss." Nach diesem Eingeständnis
kam er zu ihr und hob sie erneut auf die Arme. Er setzte sie aufs
Bett und entfernte die Tiara aus ihrem Haar. Geschickt löste er
die Ohrringe und wandte sich dann dem Armband zu. "Man hat mich
nicht dazu erzogen, ein guter Verlierer zu sein. Ich habe gelernt,
ehrgeizig und stark zu sein." Er legte den Schmuck in eine
Silberschale auf dem Nachttisch.
"Ein
Fehler?" wiederholte sie ratlos.
"Du
kennst bereits mein Temperament …"
"Rafi
hat das gleiche …"
Tariq
warf ihr einen missbilligenden Blick zu, der verriet, wie sehr er das
Benehmen seines kleinen Bruders bedauerte. "Ich habe nie im Zorn
die Hand gegen jemanden erhoben!"
"Er
ist vier und völlig durcheinander. Du bist achtundzwanzig und …"
Sie verstummte, als er sich vorbeugte, um ihr die Schuhe
abzustreifen. Sein stolzer dunkler Kopf war in Reichweite. Am
liebsten hätte sie die Hand ausgestreckt und ihm die Finger in
das dichte schwarze Haar geschoben.
"Ich
bin achtundzwanzig und …?" drängte Tariq.
"Ich
habe vergessen, was ich sagen wollte. Du hast wirklich vor, die Sache
zu Ende zu bringen, oder?"
"Was
glaubst du?"
"Ich
kann es mir einfach nicht vorstellen."
"Meine
Vorstellungskraft reicht für uns beide."
"Ich
habe von alldem jedenfalls genug!" Faye glitt vom Bett und
wandte sich zum Gehen. Leider hatte sie die Länge des Kleides
und die
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