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Ein Profi. Stories vom verschütteten Leben

Ein Profi. Stories vom verschütteten Leben

Titel: Ein Profi. Stories vom verschütteten Leben
Autoren: Charles Bukowski
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– beim kleinsten Geräusch fuhr ich aus der Haut. Ich hatte Angst, mich schlafen zu legen. Alpträume. Einer schlimmer als der andere. Wenn man sich stockbesoffen schlafen legte, war alles gut. Da passierte nichts. Aber wenn man sich nur halb besoffen oder gar nüchtern schlafen legte, dann fingen die Träume an. Und man war sich nie sicher, ob man nur träumte oder ob sich das alles tatsächlich hier im Zimmer abspielte, denn in den Träumen spielte immer das ganze Zimmer mit, das dreckige Geschirr, die Mäuse, die wackeligen Wände, die verschissenen Schlüpfer, die irgendeine Nutte auf dem Fußboden hatte liegen lassen, der tropfende Wasserhahn, der Mond wie eine Pistolenkugel da draußen, Autos mit nüchternen gutgenährten Menschen drin, aufgeblendete Scheinwerfer, die durchs Fenster hereinblitzten, all das, all das, und sie hatten einen irgendwo in einer finsteren Ecke, finster, finster, ohne Aussicht auf Rettung, ohne Sinn und Verstand, eine finstere verschwitzte Ecke, Finsternis und Dreck, stinkend vor Realität, der Gestank von allem: Spinnen, Augen, Hausverwalterinnen, Gehsteige, Bars, Häuser, Rasen, kein Rasen, Licht, kein Licht, nichts davon gehörte einem. Man sah keine rosaroten Elefanten, aber man sah jede Menge kleine Männer mit hundsgemeinen Tricks, oder einen riesigen Schrank von einem Mann, der einen strangulierte oder von hinten ansprang und in den Nacken biß, und man lag unter ihm und schwitzte und konnte sich nicht regen, dieses schwarze stinkende haarige Ding lag auf einem drauf und drauf und drauf.
    Wenn es das nicht war, dann war es das stundenlange Herumsitzen tagsüber, die unsägliche Angst, eine Angst, die einem mitten in den Eingeweiden aufging wie eine riesige Blüte, man konnte sie sich nicht erklären, man kam nicht dahinter, weshalb sie da war, und das machte alles noch schlimmer. Stundenlang mitten im Zimmer auf einem Stuhl, ausgelaugt und kaputt. Scheißen oder Pinkeln bedeutete eine große Anstrengung, eine sinnlose Anstrengung; oder sich die Haare kämmen oder die Zähne putzen – lächerliche und blödsinnige Handlungen. So blödsinnig wie durch ein Flammenmeer zu latschen. Oder ein Glas mit Wasser vollaufen lassen – man kam sich vor, als habe man kein Recht, ein Glas mit Wasser vollaufen zu lassen. Ich entschied, daß ich geisteskrank war, untauglich fürs Leben, ein Aussätziger. Ich ekelte mich vor mir selbst.
    Ich ging in die Bibliothek und suchte nach Büchern, die mir erklären würden, weshalb sich ein Mensch so fühlte wie ich. Aber solche Bücher gab es entweder nicht, oder wenn es sie gab, dann verstand ich sie nicht. In die Bibliothek zu gehen fiel nicht gerade leicht – sie schienen sich alle so wohl zu fühlen: die Bibliothekare, die Leser, alle außer mir. Selbst auf dem Männerklo der Bibliothek hatte ich Schwierigkeiten – die Penner da drin, die Schwulen, die mir beim Pissen zusahen, alle schienen sie stärker zu sein als ich, sorgenlos und selbstsicher. Es trieb mich immer wieder hinaus, zurück auf die Straße und die Wendeltreppe hinauf in einem Lagerhaus aus Beton, wo sich Tausende von Orangenkisten stapelten. Ein Gebäude in der Nähe hatte auf dem Dach ein Reklameschild, darauf stand JESUS IST DIE ERLÖSUNG, doch weder Jesus noch Orangen waren mir einen roten Heller wert, während ich diese Wendeltreppe hinaufging und rein in diesen Bau aus Beton. Hier gehöre ich rein, dachte ich dann immer, hier rein, in dieses Grabmal aus Beton. Der Gedanke an Selbstmord war immer da, penetrant wie Ameisen, die einem über die Schlagader am Handgelenk laufen. Selbstmord, das war das einzig Positive, was es gab. Alles andere war negativ. Und da war Lou, der sich freute, daß er wieder die Trommeln der Candy-Maschinen auskratzen und weiterleben durfte. Er war klüger als ich.
7
    Um diese Zeit lernte ich in einer Bar eine Lady kennen, etwas älter als ich und mit einer sehr vernünftigen Einstellung zum Leben. Ihre Beine waren immer noch ganz gut, sie hatte einen merkwürdigen Sinn für Humor und trug sehr teure Kleider. Sie hatte einen reichen Mann gehabt, und von da an war es abwärts gegangen. Wir gingen zu mir in die Wohnung und lebten dann zusammen. Sie machte einen erstklassigen Sex, aber sie mußte ständig trinken. Vicki hieß sie. Wir fickten und tranken Wein, tranken Wein und fickten. Ich hatte einen Dauerausweis für die Bibliothek und ging jeden Tag hin. Von meinen Selbstmordgedanken hatte ich ihr nichts erzählt. Meine Rückkehr aus der Bibliothek
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