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Ein Profi. Stories vom verschütteten Leben

Ein Profi. Stories vom verschütteten Leben

Titel: Ein Profi. Stories vom verschütteten Leben
Autoren: Charles Bukowski
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noch kein Mittagessen gekriegt! Hören Sie mal …«
    Die Schwester ging hinaus.
    Mittlerweile mache ich mir Gedanken über diese kleine Pißmaschine. Wahrscheinlich würde ich mir eine kaufen und mein Leben lang mit mir herumschleppen müssen … mich seitwärts in eine Gasse verdrücken, hinter einen Baum, auf den Rücksitz meines Wagens.
    Der Wanderarbeiter in Bett 1 hatte noch nicht viel gesagt. »Mein Fuß«, sagte er jetzt plötzlich zur gegenüberliegenden Wand, »ich versteh das nicht, mein Fuß ist über Nacht dick angeschwollen, und das geht nicht mehr weg. Es tut weh, es tut weh.«
    Der Weißhaarige in der Ecke drückte wieder auf seinen Knopf. »Schwester«, sagte er, »Schwester, wie wär’s, wenn Sie mir mal ’n Pott Kaffee anschleppen.«
    Wirklich, dachte ich, mein größtes Problem ist, wie ich es anstelle, daß ich hier drin nicht wahnsinnig werde.
10
    Am nächsten Tag kam der alte Weißhaarige (der Kameramann) mit seinem Kaffee an und setzte sich zu mir ans Bett. »Ich kann dieses Arschloch nicht ausstehen.« Er meinte den gelben Pißvogel. Na ja, mir blieb nichts anderes übrig, als mich mit dem Weißhaarigen zu unterhalten. Ich erzählte ihm, daß ich meine gegenwärtige Lage größtenteils dem Alkohol zu verdanken hatte. Ich erzählte ihm spaßeshalber von einigen meiner wüsten Sauftouren und von den verrückten Sachen, die sich dabei abgespielt hatten. Er hatte auch ein paar gute Stories auf Lager.
    »Früher«, erzählte er mir, »hatten sie diese großen roten Triebwagen, die verkehrten zwischen Glendale und Long Beach, wenn ich mich recht entsinne. Sie fuhren den ganzen Tag und auch nachts, bis auf anderthalb Stunden oder so, zwischen 3.30 und 5.30 Uhr, glaube ich. Na, ich ging eines Abends einen heben und traf einen Kumpel in der Bar, und als die Bar zumachte, fuhren wir zu ihm nach Hause und tranken leer, was er noch so rumstehen hatte. Als ich dann bei ihm wegfuhr, verlor ich irgendwie die Orientierung. Ich bog in eine Straße ein, die nach ein paar hundert Metern nicht mehr weiterging, aber das wußte ich nicht. Ich fuhr drauf zu, und ich hatte einen ziemlichen Zahn drauf. Ich fuhr, und plötzlich kamen mir die Eisenbahnschienen in die Quere. Es gab einen Schlag, ich knallte mit dem Kinn aufs Lenkrad und ging k.o. Da saß ich in meiner Karre, mitten auf den Schienen, und war k.o. Aber ich hatte Glück. Es war gerade in den anderthalb Stunden, wo keine Züge fuhren. Ich weiß nicht, wie lange ich da saß. Das Tuten des Triebwagens weckte mich auf. Ich kam wieder zu mir, und da seh ich diesen Zug da ankommen, direkt auf mich zu. Ich hatte gerade noch Zeit, den Wagen anzulassen und rückwärts runterzufahren. Der Zug raste vorbei. Ich fuhr die Karre nach Hause, die Vorderräder hingen ganz krumm dran und eierten.«
    »Das war knapp.«
    »Ein andermal sitze ich in der Bar. Gegenüber war ein Lokal, wo die Eisenbahner zum Essen hingingen. Der Zug hielt direkt davor, und die Männer stiegen aus und gingen rein zum Essen. Ich sitze also da neben irgendeinem Kerl in der Bar. Er dreht sich zu mir um und sagt: ›So einen Apparat da habe ich früher mal gefahren. Kann’s auch heute noch. Komm mit, ich zeig dir, wie man das Ding fährt.‹ Ich ging mit ihm raus, und wir kletterten in die Lok. Tatsächlich, er kriegt das Ding an. Wir rollen los und machen ganz flotte Fahrt. Dann kommen mir einige Zweifel, ich sag mir, was zum Teufel mach ich hier? Ich sagte zu dem Kerl: ›Ich weiß nicht, wie du die Sache siehst, jedenfalls ich steig aus! ‹Ich kannte mich mit Lokomotiven genug aus, um zu wissen, wo die Bremse war. Ich zog die Bremse, und der Zug stand noch gar nicht richtig, da war ich schon seitwärts raus. Er sprang auf der anderen Seite raus, und ich sah ihn nie wieder. Ziemlich bald steht eine große Menschenmenge um den Zug rum. Polizisten, Bahnpolizei, Aufseher, Reporter, Neugierige. Ich steh auf der Seite bei den Neugierigen und sehe zu. ›Los, wir gehn mal hin und sehen nach, was da los ist!‹ sagt jemand neben mir. ›Ach Quatsch‹, sag ich, ›ist doch bloß ’n Zug.‹ Ich hatte Angst, daß mich vielleicht jemand gesehen hatte. Am nächsten Tag stand es in der Zeitung. Die Schlagzeile hieß: ZUG FÄHRT VON SELBST NACH PACOIMA. Ich schnitt mir die Story aus und hob sie auf. Ich hob diesen Zeitungsausschnitt zehn Jahre lang auf. Meiner Frau kam er ab und zu in die Finger. ›Was’n das? Wozu hebst du diese Story da auf? – ZUG FÄHRT VON SELBST NACH PACOIMA …‹ Ich hab es ihr
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