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Ein Profi. Stories vom verschütteten Leben

Ein Profi. Stories vom verschütteten Leben

Titel: Ein Profi. Stories vom verschütteten Leben
Autoren: Charles Bukowski
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Affe an einem seidenen Faden über dem Rand einer Klippe. Ich hatte Geschwüre von der Größe kleiner Äpfel am ganzen Körper. Es war lächerlich und unbegreiflich. »Der schlimmste Fall, der mir in meinem Leben je untergekommen ist«, sagte einer der Ärzte, und der war schon recht alt. Sie standen um mich herum, als sei ich eine Mißgeburt. Ich war eine Mißgeburt. Ich bin es bis heute geblieben. Ich fuhr immer mit der Straßenbahn zum Armenkrankenhaus und wieder zurück. Kinder starrten mich in der Straßenbahn an und fragten ihre Mütter: »Was hat der Mann da! Mutti, was ist mit dem Mann seinem Gesicht?« Und die Mütter machten SCHSCHSCHTT!!! Dieses SCHSCHSCHTT war die schlimmste Verurteilung überhaupt, und dann ließen sie ihre kleinen Bastarde und Bastardinnen weiter über die Rückenlehnen ihrer Sitze hängen und mich angaffen, und ich schaute aus dem Fenster und sah mir die vorbeiziehenden Häuserblocks an und fühlte mich, als hätte ich eins über den Kopf gekriegt und sei am Absaufen.
    Die Ärzte, in Ermangelung eines besseren Einfalls, nannten es Akne Vulgaris. Stundenlang saß ich auf einer Holzbank und wartete auf meinen Holzbohrer. Eine rührselige Geschichte, was? Ich erinnere mich noch gut an die alten Backsteingebäude, die munteren und gut ausgeschlafenen Krankenschwestern, die lachenden Ärzte, die für den Rest ihres Lebens ausgesorgt hatten. Damals begriff ich, was für ein Fehler es war, Krankenhäuser zu haben. Die Ärzte waren Könige, und die Patienten waren ein Dreck; und Krankenhäuser waren dazu da, daß Ärzte ihr steifleinernes weißes Überlegenheitsgefühl austoben und sich mit den Schwestern amüsieren konnten – Herr Doktor Herr Doktor Herr Doktor, kneif mich im Fahrstuhl in den Arsch, vergiß den Gestank von Krebs, vergiß den Gestank des Lebens; wir sind nicht so arme Irre wie die da, wir werden nie sterben, wir trinken unseren Möhrensaft, und wenn wir uns schlecht fühlen, können wir uns eine Spritze reinhauen, das Zeug liegt hier in Mengen rum. Tirili, tirili, das Leben zwitschert uns ein Liedchen, und wir machen dabei den großen Reibach.
    Dann ging ich rein und setzte mich hin, und sie setzten bei mir den Bohrer an. ZIRRRR ZIRRRR ZIRRRR, ZIRR, und die Sonne ließ inzwischen Dahlien und Orangen wachsen und schien durch die dünnen Kittel der Schwestern und trieb die armen Irren zum Wahnsinn.
    »Noch nie einen erlebt, der die Spritze so glatt einsteckt wie der da.«
    »Sieh dir den an. Eiskalt!«
    Wieder so ein Klüngel von Schwesternfickern, ein Klüngel von Herren, die große Villen besaßen und Zeit hatten für Lachen und Lesen und Theaterbesuche; Zeit, um Gemälde zu ersteigern und Denken und Fühlen zu verlernen. Steifleinernes Weiß. Und meine Niederlage. Der Klüngel.
    »Na, wie fühlst du dich?«
    »Prächtig.«
    »Tut dir die Spritze nicht weh?«
    »Fick dich ins Knie.«
    »Wie bitte?«
    »Ich sagte: Fick dich ins Knie.«
    »Laß mal. Er ist noch ein Junge. Hadert mit seinem Schicksal. Kann man ja verstehn. Wie alt bist du denn?«
    »Vierzehn.«
    »Ich wollte dich ja nur loben, daß du so viel Mumm hast und die Spritze so einfach wegsteckst. Bist ein harter Bursche.«
    »Fick dich ins Knie.«
    »So kannst du mit mir aber nicht reden.«
    »Fick dich ins Knie! Fick dich kreuzweise ins Knie!«
    »Du solltest dich ein bißchen zusammenreißen. Stell dir doch mal vor, du wärst blind.«
    »Dann müßte ich mir wenigstens nicht eure gottverdammten Visagen ansehen.«
    »Der Junge ist verrückt.«
    »Ganz bestimmt. Laß ihn einfach.«
    Das war ein dolles Hospital. Und ich dachte keinen Augenblick daran, daß ich 20 Jahre später wieder da drin landen würde, wieder in der Abteilung für Sozialfälle. Krankenhäuser und Gefängnisse und Nutten: Das sind die Universitäten des Lebens. An denen habe ich mehrere akademische Grade erworben. Ihr könnt »Sie« zu mir sagen.
4
    Ich lebte mit einer anderen zusammen. Wir wohnten in der zweiten Etage eines Reihenhauses an einem Innenhof, und ich ging arbeiten. Das war es, was mich fast umgebracht hätte – die ganze Nacht trinken, und dann den ganzen Tag arbeiten. Ich schmiß regelmäßig mit einer Flasche das Fenster ein. Mit dem Fensterrahmen ging ich dann immer zu einem Glaser unten an der Ecke und ließ eine neue Scheibe einsetzen. Das machte ich einmal pro Woche. Der Mann sah mich immer sehr eigenartig an, aber an meinem Geld hatte er nichts auszusetzen, das nahm er jedesmal. Ich hatte seit 15 Jahren ebenso stetig wie stark
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