Ein Quantum Blut - Biting the Bullet
dass Zarsa verzweifelter war als je zuvor, konnte ich nicht glauben, dass sie das Heim und die einzige Einnahmequelle ihrer Familie niederbrennen wollte. Offenbar bereitete sie sich gerade geistig darauf vor, auf die Straße rauszugehen. Um durch eine selbst inszenierte Feuerbestattung eine letzte, dramatische Botschaft zu verkünden.
»Asha, du bist ein Vollidiot«, flüsterte ich ihm aus dem Mundwinkel zu. »Du hast eine Killerin geholt, um eine Frau vom Selbstmord abzuhalten. Du hättest auch keine schlechtere Wahl getroffen, wenn du in die Vergangenheit gereist wärst und Cleopatra, Sylvia Plath und Marilyn
Monroe von ihrem Sterbebett geholt hättest, um Zarsa aufzumuntern.«
»Bitte«, flehte er. »Du hast immense Kräfte. Ich spüre sie, sie fließen in dir wie Wasserfälle. Müssen sie alle der Zerstörung dienen? Sicherlich kann man doch eine davon so lenken, dass durch sie ein Leben gerettet wird.«
»Oh, du hast gut reden, du großer … dürrer … Zauderer!« Nachdem nun ganz klar war, dass mir erstens die Beleidigungen ausgegangen waren und ich zweitens eine Heuchlerin war - denn eigentlich wollte ich es so lange wie möglich hinauszögern, mich mit dieser verzweifelten, wahnsinnigen Frau auseinanderzusetzen -, gab ich auf und schloss mich dem Rettet-Zarsa-Team an.
Ich trat einen Schritt vor und hob langsam die Arme, damit Zarsa sehen konnte, dass ich nicht … ups. Ich war doch noch bewaffnet, also reichte ich Asha meine Waffen. »Verlier die bloß nicht«, befahl ich. »Die gehören nicht mir. Und übersetze schnell. Sie muss diese Kerze nur ein paar Zentimeter näher an sich ranziehen, dann müssen wir nach den Feuerlöschern suchen.«
»Sie sind keine Studentin«, stellte sie ausdruckslos fest, als sie meine Waffen, den Zustand meiner Klamotten und - schätzungsweise - die Blutspur sah, die sich von meinem Hals zu der apfelgroßen Prellung auf meiner Brust zog. »Das habe ich gespürt, als ich Sie berührt habe. Sie sind …«
»Eine Studentin, soweit es irgendjemanden zu interessieren hat«, erwiderte ich eisern und vermittelte ihr mit einem Blick, dass sie meine verdammten Geheimnisse für sich behalten solle. Gleichzeitig befühlte ich vorsichtig meine Kehle. Schaute auf meine Finger. Ziemlich sauber. Tja, wenigstens blutete ich nicht mehr. Das sollten wir feiern. Mit einem Kuchen. Aber ohne Kerzen, danke.
»Also, Sie sehen schrecklich aus«, sagte ich. »Ist das die neue Frühjahrsmode im Iran, von der ich schon so viel gehört habe? Kleiner Arschtritt für die Regierung wegen der lächerlichen Bekleidungsvorschriften für Frauen?«
Sie schüttelte den Kopf.
»Okay, Zarsa. Reden Sie mit mir. Ich bin nicht hier, um Sie aufzuhalten.« Lügnerin! »Ich will nur wissen, warum.«
Sie lehnte sich gegen die Wand und stützte sich zusätzlich mit einer Hand ab, damit sie auf den Beinen blieb. »Ich kann kaum atmen«, sagte sie, und plötzlich verschleierte sich ihr Blick mit Tränen. »Mein Mann. Meine Kinder. Ich weiß, dass ich glücklich darüber sein sollte, sie zu haben. Ich bin gesegnet. Aber deswegen weint meine Seele. So umfassend zu lieben, mit jedem Atom seines Daseins, bedeutet zu wissen, was sie alles verlieren können. Zu erkennen, welche Schrecken sie an jeder Ecke erwarten, nun, da meine letzte Hoffnung erloschen ist.« Ihr Lächeln erinnerte mich so stark an Vayls Mundwinkelzucken, dass ich ein Schaudern unterdrücken musste.
»Aber ich dachte, nach unserem Gespräch letzte Nacht hätten Sie neue Hoffnung. Erinnern Sie sich? Wegen des Amanha Szeya?«
»Die hatte ich auch«, erwiderte sie. »Bis ich von ihm geträumt habe.«
Oh-oh. »Was, ähm, ist dem in Ihrem Traum passiert?«
»Die gleichen Gräueltaten, die ich Ihnen gestern beschrieben habe. Und sie fanden alle statt unter dem Blick des Amanha Szeya. Er allein kann für mich und mein Volk nichts verändern.« Sie drückte sich die Handballen auf die Augen. »Und jetzt habe ich diese Visionen die ganze Zeit. Wo ich auch hinsehe, ist es so, als hätten die Morde schon begonnen. Sogar Sie«, sie fixierte mich mit
ihrem verzweifelten Blick, »scheinen für mich nicht viel mehr als eine wandelnde Leiche zu sein.«
Nun verstand ich das Ausmaß ihres Schmerzes. Und ihr Problem. Da Vayl aus dem Rennen war und Asha nicht in der Lage war, ihr zu helfen, konnte sie sich nirgendwo mehr hinwenden. Also hing die Verzweiflung über ihr, sog die Luft aus dem Raum und alle Hoffnung aus ihrem Herzen.
Einen Moment lang hatte ich keine
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