Ein reines Gewissen
»Sie haben mir immer wieder dieselben Fragen gestellt. Sie glauben, ich hätte es getan ...«
»Das tun sie nicht«, versicherte ihr Fox, der ihr die Hand auf die Schulter gelegt hatte, um sie zu beruhigen.
»Dieser Mann ... Giles ... Der hat dauernd behauptet,Vince wäre ein Gewalttäter gewesen, genau das Wort hat er benutzt, >Gewalttäter<. Er sagte, Vince wäre schon mehrfach verurteilt worden, immer wegen Gewaltdelikten. Meinte, einen Revancheakt würde mir niemand verdenken. Aber so war es nicht, Malcolm.«
»Giles weiß das, Jude, sie alle wissen es.«
»Warum ist er dann so darauf rumgeritten?«
»Er ist ein Arschloch, Schwesterherz.«
Das entlockte ihr ein flüchtiges Lächeln. Doch dann richtete sie ihren Blick auf Fox' Hand, die immer noch sanft ihre Schulter drückte. »Das tut weh«, erklärte sie, worauf ihm erst bewusst wurde, dass die Schulter zu ihrem gebrochenen Arm gehörte.
»Ach je, tut mir leid!«
Wieder der Anflug eines Lächelns. »Da war noch ein Kripobeamter, der war ein bisschen netter ... Breck hieß der, glaube ich. Ja genau, wir haben doch als Kinder in den Ferien dieses Buch gelesen.«
»Entführt«, erinnerte Fox sie. »Der Held hieß Alan Breck. Du wolltest immer, dass ich es dir vorlese.«
»Vor dem Schlafengehen.« Sie nickte in Erinnerung daran. »Zwei Wochen lang jeden Abend. Und jetzt schau dir uns an ...« Als sie ihm das Gesicht zuwandte, liefen ihr Tränen die Wangen hinunter. »Ich habe ihn geliebt, Malcolm.«
»Ich weiß.«
Sie fing an, sich mit dem Hemd in ihrer Hand die Tränen abzuwischen. »Ohne ihn schaffe ich es nicht.«
»Doch, das tust du, vertrau mir. Kann ich dir irgendwas besorgen?«
»Wie wär's mit einer Zeitmaschine?«
»Könnte eine Weile dauern, sie zu bauen. Sandra sagt, ihr hättet keinen Tee und Kaffee mehr - ich könnte welchen kaufen gehen.«
Jude schüttelte den Kopf. »Sie bringt welchen von Asda mit, da gibt es nämlich Personalrabatt, sagt sie.«
»Sandra hat mir erzählt, ihr vier wärt zusammen ins Casino gegangen. Ich wusste gar nicht, dass du was für Glücksspiele übrig hast.«
Jude atmete einmal tief durch. »Das ging weniger von mir als von den drei anderen aus. Ich habe gerne dort gegessen und ein paar Gläschen getrunken ... Es waren immer schöne Abende.«
Sie hielt inne. »Die hatten Leute hergeschickt, die unsere ganzen Sachen durchwühlt haben. Manches haben sie mitgenommen, da musste ich was unterschreiben. Deswegen habe ich ...« Sie deutete auf die Kleidungsstücke um sie herum. »Die Schubladen waren sowieso schon offen, da hab ich gedacht, ich könnte genauso gut ...«
Fox nickte. »Ich lasse dich jetzt mal allein, wenn du sicher bist, dass ich dir nichts ...«
»Weiß Mitch Bescheid?«
»Ja. Ich habe ihm einen Besuch erst mal ausgeredet.« »Ich werde hingehen. Das ist vielleicht einfacher, oder?« »Ich kann dich bringen. Wie wär's heute Nachmittag, um drei oder vier?« »Musst du da nicht arbeiten?« Fox zuckte nur die Achseln.
»Also gut«, sagte Jude. Ihr Bruder stand langsam auf und war schon an der Tür, als ihr etwas einfiel. »Am Montagabend war jemand hier.«
Die Hand schon am Türgriff, hielt Fox inne.
»Hat Vince gesucht«, fuhr Jude fort. »Ich sagte, ich wüsste nicht, wo er ist. Hab ihm die Tür vor der Nase zugemacht, und das war's.«
»Du kanntest ihn nicht?«
Jude schüttelte den Kopf. »Hochgewachsen, dunkle Haare. Ich bin ans Fenster gegangen und hab ihm hinterhergeguckt, aber nur noch seinen Rücken gesehen.«
»Ist er in ein Auto gestiegen?«
»Kann sein ...«
»Hast du das Giles erzählt?«
Wieder schüttelte sie den Kopf. »Es klingt verrückt, aber ich war einfach nicht in der Stimmung. Vielleicht könntest du es ihm sagen?«
»Klar. Nur eins noch, Jude ...«
»Was?«
»Hat Vince in Schwierigkeiten gesteckt? Ist er leichter ausgerastet als sonst?«
Die Nase in das Hemd gedrückt, dachte sie nach. »Er war einfach Vince«, sagte sie zu Fox. »Und wird es immer sein. Aber Malcolm ...?«
»Ja?«
»Wusstest du von den Vorstrafen?« Sie betrachtete ihn, während er bedächtig nickte. »Das hast du mir nie erzählt.«
»Als ich es herausbekam, war er bereits tot.«
»Trotzdem hättest du es mir sagen können. Besser, ich erfahre es von dir als von diesem widerlichen Kerl.«
»Ja«, stimmte Fox ihr zu. »Tut mir leid, Schwesterherz. Aber was ist mit dir? Hast du es wirklich nicht gewusst?«
Jetzt war es an Jude, den Kopf zu schütteln. »Ist jetzt auch egal«, sagte sie
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