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 Ein reines Gewissen

Ein reines Gewissen

Titel: Ein reines Gewissen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Rankin
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Mitch wartete schon auf sie. Er ließ es sich nicht nehmen, aufzustehen und Jude tröstend in den Arm zu nehmen. Als sie sich gerade setzten, kamen zwei Pflegehelferinnen, um zu fragen, ob sie Tee wollten. Mitch akzeptierte. Nachdem sie jedoch den Tee gebracht hatten, steckte jemand anderes den Kopf zur Tür herein, um ihnen Kekse anzubieten. Da wurde es Fox nun doch zu viel, und er machte die Tür zu. Fast unmittelbar darauf klopfte es schon wieder. Diesmal wollten sie Mr. Fox mitteilen, dass Whist-Abend sei und man gleich nach dem Abendessen anfangen werde.
    »Ja, ich weiß«, sagte Mitch. »Und jetzt haut ab und lasst uns in Frieden.«
    Er wandte sich wieder seiner Tochter zu. »Wie geht's dir, Jude?«
    »Ganz gut.«
    »Du siehst aber nicht so aus. Schrecklich, das mit deinem Partner.« »Er heißt Vince, Dad.«
    »Schrecklich«, wiederholte Mitch, den Blick auf ihren eingegipsten Arm geheftet.
    »Nimm's mir nicht übel, Dad«, entschuldigte sich Fox. »Ich hätte es dir sagen sollen ...«
    »Was ist passiert?«
    »Ich bin in der Küche hingefallen«, platzte Jude heraus. »Ja, sicher«, brummte ihr Vater.
    Eine vollständige Katastrophe war der Besuch aber dann doch nicht geworden. Mitch hatte sich Äußerungen wie »Das habe ich dir gleich gesagt« oder »Er war einfach nicht der Richtige für dich« verkniffen, und Jude hatte es vermieden, ihren Vater mit irgendeiner Bemerkung zu kränken.
    »Du sagst ja gar nichts«, hatte Mitch sich bei seinem Sohn beklagt. Fox hatte nur die Achseln gezuckt und so getan, als konzentrierte er sich auf die Teetasse in seiner Hand.
    Später im Auto, vor Judes Haus, hatte er seine Schwester gefragt, ob sie noch ein wenig Gesellschaft haben wolle. Sie hatte den Kopf geschüttelt. Alison würde später noch vorbeischauen. Dann hatte sie ihm einen flüchtigen Kuss auf die Wange gedrückt und war ausgestiegen.
    Als Fox jetzt an seinem Esszimmertisch saß und sich diesen Moment noch einmal ins Gedächtnis rief, überlegte er, warum Judes Geste ihn so erschreckt hatte. Vielleicht lag es daran, dass sie einander, wie in vielen Familien, so selten ihre Zuneigung zeigten. An Weihnachten mochte es mal eine Umarmung oder einen Kuss geben. Bei Beerdigungen natürlich auch. Aber letzte Weihnachten hatte er Jude gar nicht gesehen, und die letzte Beerdigung in der Familie, die einer Tante, war im vergangenen Sommer gewesen.
    »Danke«, hatte Jude gesagt, bevor sie die Autotür zuschlug. Den ganzen Weg bis ins Haus hatte er ihr nachgeschaut. Sie blieb nicht stehen, um zu winken. Und nachdem sie ihre Haustür geschlossen und im Wohnzimmer das Licht angemacht hatte, war sie nicht ans Fenster gekommen, um ihm zum Abschied noch einmal zuzuwinken.
    Vorher in der Lauder Lodge hatte Mitch gefragt, ob er Audrey Sanderson anrufen solle: »Sie würde euch sicher gerne sehen«. Doch Jude hatte ihn gebeten, es nicht zu tun, und Fox hatte den Eindruck, dass Mrs. Sanderson sich nicht aufdrängen wollte.
    Während er die Essensreste in den Abfalleimer kratzte, fragte sich Fox, was sein Vater wohl von ihm hielt. Theoretisch hätte Mitch bei ihm wohnen können, Platz genug hätte er gehabt. Vielleicht wäre die Treppe ein Problem gewesen - genau dieses Argument hatte Fox angeführt, als es um die Zukunft seines Vaters gegangen war. Im Übrigen hatte der alte Herr in der Lauder Lodge Anschluss gefunden. Was in Oxgangs allerdings auch nicht ausgeschlossen gewesen wäre; dort fand in der Kirche jeden Tag ein Seniorentreffen statt. Aber nein, die Lauder Lodge war die bessere Wahl gewesen, und die Entscheidung dafür goldrichtig.
    Er machte Anstalten, sich einen Tee zu kochen, ließ es aber wieder bleiben - der Tee in der Lauder Lodge hatte einen so merkwürdigen Geschmack in seiner Kehle hinterlassen, dass er diese Erfahrung nicht gleich wiederholen wollte. Im Kühlschrank gab es noch Appletiser, aber darauf hatte er keine Lust. Er wusste nicht, was er wollte. Im Wohnzimmer zappte er sämtliche Fernsehkanäle durch, ohne etwas zu finden, worauf er gerne seine Zeit verschwendet hätte. Er könnte natürlich früh zu Bett gehen, endlich mal wieder was lesen, aber es war noch nicht einmal neun Uhr. Noch zwei Stunden bis zum Beginn der Breck-Überwachung. Joe Naysmith hatte ihm die naheliegende Frage gestellt: »Ist alles geregelt?«
    Womit er den Papierkram meinte. Grünes Licht von oben. Naysmith: vorsichtig und gewissenhaft. Fox hatte ihm versichert, es sei »in der Post«, was so viel hieß wie »später zu

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