Ein Rest von Schuld - Rankin, I: Rest von Schuld - Exit Music

behutsam, Gang für Gang herunterschalten. Jeder, den sie kannte, hatte unmittelbar nach Bestehen der Fahrprüfung dieses Manöver aus seinem Gedächtnis gestrichen, nicht aber Colin. Sie hätte wetten können, dass er sich auch die Unterhosen bügelte. Es ging ihr allmählich wirklich auf den Geist, dass sie ihn, ungeachtet aller Charakterfehler, die sie laufend an ihm entdeckte, irgendwie attraktiv fand. Ihr missfiel zwar die Vorstellung, dass sie nicht in der Lage sein sollte, ohne einen Typen zurechtzukommen, aber allmählich sah es wirklich danach aus.
    »Was Gutes in der Glotze?«, fragte er.
    »Eine Doku darüber, dass Männer allmählich zu Frauen mutieren.« Er sah sie an, unsicher, ob sie ihm nicht einen Bären aufzubinden versuchte. »Das stimmt«, beteuerte sie. »Das ganze Östrogen im Leitungswasser. Ihr Typen schluckt’s, und prompt beginnen euch Brüste zu wachsen.«
    Er dachte kurz, aber konzentriert nach. »Und wie kommt das Östrogen ins Leitungswasser?«
    »Muss ich’s dir vorbuchstabieren?« Sie machte eine Handbewegung, als würde sie die Klospülung ziehen. »Und dann die ganzen Schweinereien im Fleisch. Das verändert euer chemisches Gleichgewicht.«
    »Ich will nicht, dass sich mein chemisches Gleichgewicht ändert.«
    Sie musste lachen. »Würde allerdings einiges erklären«, spottete sie.
    »Was?«
    »Beispielsweise, warum du Derek Starr so anhimmelst.« Er guckte böse, und sie lachte wieder. »Wie du ihn während seiner Ansprache angesehen hast … Hätte Russell Crowe in Gladiator oder Mel Gibson in Braveheart sein können.«
    »Ich hab Braveheart im Kino gesehen«, sagte Tibbet. »Die Zuschauer sind alle aufgesprungen und jubelten und boxten in die Luft. Hab noch nie so was erlebt.«
    »Das liegt daran, dass die Schotten nicht oft Gelegenheit haben, stolz auf sich zu sein.«
    »Glaubst du, wir bräuchten die Unabhängigkeit?«
    »Vielleicht«, räumte sie ein. »Allerdings nur so lange, wie sich First Albannach und ähnliche Gestalten nicht anschließend nach Süden absetzen.«
    »Wie viel Gewinn haben die letztes Jahr gemacht?«
    »Acht Milliarden, so um den Dreh.«
    »Acht Millionen, meinst du.«
    »Acht Milliarden«, wiederholte sie.
    »Das kann nicht stimmen.«
    »Willst du damit sagen, dass ich lüge?« Sie fragte sich, wie er es fertiggebracht hatte, das Gespräch, ohne dass sie es merkte, auf ein ganz anderes Thema zu bringen.
    »Da kommt man doch ins Grübeln, nicht?«, fragte er jetzt.
    »Grübeln worüber?«
    »Wer die eigentliche Macht im Land hat.« Er wandte den Blick kurz von der Fahrbahn ab und sah sie an. »Lust, später was zu unternehmen?«
    »Mit dir, meinst du?«
    Er zuckte die Achseln. »Heute Abend macht der Weihnachtsmarkt auf. Wir könnten uns ein bisschen umgucken.«
    »Könnten wir.«
    »Und anschließend einen Happen essen.«
    »Ich überleg’s mir.«
    Sie blinkten jetzt, um in die Einfahrt der Zentrale der First Albannach Bank einzubiegen. Vor ihnen lag eine Konstruktion aus Glas und Stahl, vier Stockwerke hoch und so lang wie eine ganze Straße. Ein Wachmann kam aus dem Torhäuschen heraus, um ihre Namen und die Zulassungsnummer des Wagens aufzuschreiben.
    »Stellplatz sechs-null-acht«, sagte er. Und obwohl es, wie nicht zu übersehen war, schon viel näher jede Menge freie Plätze gab, steuerte Tibbet gehorsam die Nummer 608 an.
    »Keine Sorge«, sagte sie, als er die Handbremse anzog, »von hier aus kann ich problemlos laufen.«
    Und so liefen sie an fest geschlossenen Reihen von Sportwagen, Familienlimousinen und Offroadern vorbei. Die Grün- und Gartenanlagen waren noch in Arbeit, und direkt hinter einer Ecke des Hauptgebäudes sah man Stechginsterbüsche und einen der Fairways des Golfplatzes. Als sich die Tür öffnete, tat sich vor ihnen ein dreistöckiges Atrium auf. Hinter dem Empfangstresen war eine kleine Einkaufspassage zu sehen: Apotheke, Supermarkt, Café, Zeitungsladen. Eine Tafel gab die Öffnungszeiten von Kita, Fitnessstudio und Schwimmbad an. Rolltreppen führten zur nächsten Ebene, während die Stockwerke darüber mit frontverglasten Fahrstühlen zu erreichen waren. Die Empfangsdame lächelte sie strahlend an.
    »Willkommen in der FAB«, sagte sie. »Wenn Sie sich eintragen und kurz ausweisen würden …«
    Sie taten wie verlangt, dann teilte sie ihnen mit, dass Mr. Janney in einer Besprechung, aber seine Sekretärin informiert sei.
    »Dritter Stock. Sie erwartet Sie am Lift.« Sie erhielten laminierte Besucherausweise und ein