Ein Rest von Schuld - Rankin, I: Rest von Schuld - Exit Music
zwischen den Scheiben der Doppelglasfenster gebildet hatte, allerdings nicht sah.
»Deprimierend, nicht?«, sagte sie in entschuldigendem Ton. »Vor vierzig Jahren gebaut, und taugt nur noch zum Abriss.«
Rebus richtete seine Aufmerksamkeit lieber auf die Regale voll russischer Literatur. Gipsbüsten von Marx und Lenin dienten als Bücherstützen. An der gegenüberliegenden Wand hingen Poster und Karten, darunter ein Foto des tanzenden Präsidenten Jelzin. Colwells Schreibtisch stand nah am Fenster. Zwei Tische waren zusammengeschoben worden, wodurch gerade noch genug Platz für die acht Stühle blieb, die sich darum gruppierten. Auf dem Fußboden summte ein Wasserkocher, und Colwell ging in die Hocke und löffelte Kaffeepulver in zwei Becher.
»Milch?«, fragte sie.
»Bitte«, antwortete Rebus und warf einen Blick auf ihre wallende Mähne. Ihr straff gespannter Rock zeichnete die Linie einer Hüfte nach.
»Zucker?«
»Nur Milch.«
Das Wasser kochte, und sie goss es ein und reichte Rebus seinen Becher, bevor sie sich wieder aufrichtete. Sie standen sehr dicht beieinander; dann entschuldigte sie sich wieder für die Enge des Zimmers und zog sich hinter ihren Schreibtisch zurück, während sich Rebus damit begnügte, sich mit dem Hintern an die Tischkante zu lehnen.
»Danke, dass Sie sich Zeit für mich nehmen.«
Sie pustete in ihren Kaffee. »Gar keine Ursache. Es hat mich erschüttert, von Mr. Riordan zu erfahren.«
»Sie kannten ihn von der Poetry Library her?«, vermutete Rebus.
Sie nickte und musste sich dann die Haare aus dem Gesicht streichen. »Und vom Word Power.«
Jetzt nickte Rebus. »Das ist der Buchladen, in dem Mr. Todorow eine Lesung abgehalten hat?«
Colwell zeigte auf die Wand. Als Rebus hinschaute, erkannte er ein Foto von Alexander Todorow in voller poetischer Begeisterung, einen Arm theatralisch erhoben, den Mund aufgerissen.
»Sieht nicht wie ein Buchladen aus«, erklärte Rebus.
»Die Veranstalter sind auf einen größeren Raum ausgewichen – ein Café in der Nicolson Street. Trotzdem war es gestopft voll.«
»Er scheint ganz in seinem Element zu sein, nicht?« Rebus betrachtete das Bild jetzt eingehender. »Haben Sie das aufgenommen, Dr. Colwell?«
»Ich habe nicht besonders viel Geschick …«, fing sie an, sich zu entschuldigen.
»Ich bin der Letzte, der das beurteilen könnte.« Er drehte sich um und lächelte sie an. »Charles Riordan hat diese Lesung also ebenfalls aufgenommen?«
»Ja.« Sie schwieg kurz. »Tatsächlich ist es ein glückliches Zusammentreffen, dass Sie mich angerufen haben, Inspector...«
»Wie das?«
»Weil ich kurz davor war, Sie meinerseits anzurufen, um Sie um einen Gefallen zu bitten.«
»Was kann ich für Sie tun, Dr. Colwell?«
»Es gibt eine Literaturzeitschrift namens London Review of Books. Der Herausgeber hat den Nachruf gelesen, den ich für den Scotsman geschrieben hatte, und möchte eines von Alexanders Gedichten veröffentlichen.«
»So weit kann ich Ihnen folgen.« Rebus führte den Becher an die Lippen.
»Es ist ein neues Gedicht, das er in der Poetry Library auf Russisch vorgetragen hat.« Ein kleines Lachen. »Ich glaube sogar, er hatte es gerade erst an dem Tag fertiggestellt. Und das Problem ist, ich habe keine Abschrift davon. Ich bezweifle, dass überhaupt jemand eine hat.«
»Haben Sie in seinem Papierkorb nachgesehen?«
»Würde es herzlos klingen, wenn ich ja sagte?«
»Ganz und gar nicht. Aber Sie haben es nicht gefunden?«
»Nein … und deswegen habe ich mit einem netten Mann in Mr. Riordans Studio gesprochen.«
»Das dürfte Terry Grimm gewesen sein.«
Sie nickte wieder, schob erneut ihr Haar zurück. »Er sagte, es gebe eine Aufnahme.«
Rebus dachte daran, wie er und Siobhan eine Stunde lang in ihrem Auto gesessen und gemeinsam einem Toten gelauscht hatten. »Sie möchten sie sich ausleihen?«, fragte er, da er sich erinnerte, dass Todorow tatsächlich ein paar Gedichte auf Russisch vorgetragen hatte.
»Nur so lange, wie ich für die Übertragung brauche. Ich würde ihm damit gewissermaßen mein bescheidenes Denkmal setzen.«
»Ich wüsste nicht, was dagegen spräche.«
Sie strahlte, und er hatte den Eindruck, dass sie sich, wäre der Schreibtisch nicht dazwischen gewesen, vielleicht sogar vorgebeugt und ihn umarmt hätte. So aber fragte sie lediglich, ob sie sich die CD auf der Wache anhören musste oder es wohl möglich sei, sie mitzunehmen. Die Wache... ein Ort, an dem Rebus sich nicht blicken lassen
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