Ein Rest von Schuld - Rankin, I: Rest von Schuld - Exit Music
lange Nacht gehabt?« Wills war unrasiert, seine Augen sahen rot gerändert und trüb aus, und er war noch nicht dazu gekommen, sich seinen Schlips umzubinden.
»Ich hatte mir grad ein paar Drinks genehmigt«, fing der Mann an zu erklären, »und da erwischt mich das Sensenmännchen auf dem Handy – Bill Prentice hätte sich krankgemeldet, und ob ich seine Vormittagsschicht übernehmen könnte.«
»Und trotzdem haben Sie ihr den Gefallen getan – das nenne ich einen loyalen Arbeitnehmer.« Rebus sah die Zeitung auf dem Tisch. Litwinenko war vermutlich mit Polonium 210 vergiftet worden; Rebus hatte von dem Zeug noch nie in seinem Leben etwas gehört.
»Was wollen Sie überhaupt?«, fragte Joe Wills. »Ich dachte, ihr wärt hier fertig.« Rebus fiel auf, dass auf Wills’ Becher der Name eines lokalen Radiosenders prangte,Talk 107. »Sie haben nicht zufällig Milch dabei?«, fragte der Mann. Aber Rebus’ Aufmerksamkeit galt den Überwachungsmonitoren.
»Kommen Sie mit dem Auto zur Arbeit, Mr. Wills?«
»Manchmal.«
»Ich erinnere mich, dass Sie von einem ›Blechschaden‹ erzählt haben.«
»Fahren tut das Auto noch.«
»Ist es momentan hier?«
»Nein.«
»Wieso nicht?« Aber dann hielt Rebus einen Finger in die Höhe. »Sie dürften noch immer nicht ungestraft ins Röhrchen blasen, hab ich recht?« Wills nickte. »Sehr vernünftig von Ihnen, Sir. Aber wenn Sie zur Arbeit fahren, möchte ich wetten, dass Sie Ihren Wagen da abstellen, wo Sie ihn im Auge behalten können.«
»Klar.« Wills nahm einen Schluck Tee und zuckte beim bitteren Geschmack zusammen.
»Im Blickfeld einer der Kameras, mit anderen Worten?« Rebus nickte in Richtung der Monitore. »Parken Sie immer an derselben Stelle?«
»Hängt davon ab.«
»Und wie steht’s mit Ihrem Kollegen? Gehe ich recht in der Annahme, dass Mr. Walsh die untere Parkebene bevorzugt?«
»Woher wissen Sie das?«
Wieder ging Rebus nicht auf die Frage ein. »Als ich das erste Mal hier war«, sagte er stattdessen, »am Tag nach dem Mord, wenn Sie sich erinnern …«
»Ja?«
»… da waren die Kameras unten nicht auf die Stelle gerichtet, an der der Überfall stattgefunden hatte.« Er deutete auf einen der Bildschirme. »Sie sagten, eine wäre sonst dort gewesen, aber man hätte sie dann herumgedreht. Jetzt scheint sie wieder zurückgeschwenkt worden zu sein, so dass sie – vermutlich – auf den Einstellplatz schaut, wo Mr. Walsh immer parkt?«
»Läuft das Ganze auch auf irgendwas raus?«
Rebus rang sich ein Lächeln ab. »Ich frag mich lediglich eins, Mr.Wills:Wann genau wurde die Kamera verstellt?« Er stand über den Wachmann gebeugt. »Ich wette, während Ihrer letzten Schicht vor dem Mord war sie genauso wie jetzt ausgerichtet. Danach hat sich jemand daran zu schaffen gemacht.«
»Ich hab’s Ihnen doch gesagt – sie wird immer wieder verstellt.«
Rebus war keine fünfzehn Zentimeter von Wills entfernt, als er entgegnete: »Sie wissen es, nicht? Sie sind nicht gerade der Hellste, aber das haben Sie vor allen anderen kapiert. Haben Sie jemandem davon erzählt, Mr. Wills? Oder sind Sie jemand, der Geheimnisse für sich behalten kann? Vielleicht wünschen Sie sich nur ein ruhiges Leben, abends ein paar Drinks und ein bisschen Milch zu Ihrem Tee. Sie sind keiner, der einen Kumpel verpfeifen würde, stimmt’s? Aber hier habe ich einen Rat für Sie, Mr. Wills, und es wäre wirklich in Ihrem Interesse, ihn zu befolgen.« Rebus machte eine Pause, bis er sicher war, die ungeteilte Aufmerksamkeit des Mannes zu haben. »Nicht ein Wort zu Ihrem Kollegen. Denn falls doch, und ich erfahre davon, sorge ich dafür, dass nicht er, sondern Sie im Bunker landen, kapiert?«
Wills war erstarrt, nur der Becher zitterte leicht in seinen Händen.
»Haben wir uns verstanden?«, fragte Rebus noch einmal. Der Wachmann nickte, doch Rebus war noch nicht ganz fertig mit ihm.
»Eine Adresse«, sagte er und legte sein Notizbuch auf die Arbeitsfläche. »Schreiben Sie sie mir auf.« Joe Wills stellte seinen Becher hin und gehorchte.Walshs CDs standen an ihrem gewohnten Platz; Rebus bezweifelte, dass Wills allzu viel mit ihnen würde anfangen können. »Und noch eine letzte Sache«, fügte er hinzu, während er das Notizbuch wieder an sich nahm. »Wenn mein Saab die Ausfahrt erreicht, machen Sie die Schranke auf. Die Preise in Ihrem Laden hier sind absolut kriminell.«
Shandon lag im Westen der Stadt, zwischen dem Kanal und der Slateford Road. Eine Fahrt von etwa einer
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