Ein Rest von Schuld - Rankin, I: Rest von Schuld - Exit Music
schon.« Er räusperte sich und bekam einen roten Kopf.
»Was?«, fragte Clarke.
»Sie wissen schon«, wiederholte Tibbet.
»Ich glaube, Colin meint Masturbation«, warf Hawes ein. Tibbets Miene drückte pure Dankbarkeit aus.
»John?« Es war der Barmann. Rebus drehte sich zu ihm um. »Ich dachte, das würde Sie vielleicht interessieren.« Er hielt eine Zeitung in die Höhe. Es war die Spätausgabe der Evening News. Die Schlagzeile lautete TOD EINES DICHTERS, und darunter stand in Fettdruck: »Der Einzelgänger, der ›Njet! ‹ zu sagen wagte«. Und ein Archivfoto von Alexander Todorow. Der Dichter stand in den Princes Street Gardens, vor dem Hintergrund der bedrohlich aufragenden Burg. Um den Hals hatte er einen Tartanschal geschlungen; war wahrscheinlich sein allererster Tag in Schottland gewesen. Ein Mann, der nur noch zwei Monate zu leben hatte.
»Die Katze ist aus dem Sack«, sagte Rebus und nahm die Zeitung, die ihm hingehalten wurde. Dann, allgemein an die Tischrunde gerichtet, für den Fall, dass jemand es wusste: »Zählt das als Metapher?«
Dritter Tag
Freitag, 17. November 2006
7
Im CID-Büro der Polizeiwache Gayfield Square roch es komisch. Besonders oft machte sich das im Hochsommer bemerkbar, aber dieses Jahr schien sich der Geruch überhaupt nicht verflüchtigen zu wollen. Er verschwand für ein paar Tage oder Wochen, um sich dann eines Morgens wieder einzustellen. Es hatte immer wieder Beschwerden gegeben, und die Schottische Polizeigewerkschaft drohte mit einem Streik. Man hatte Fußböden aufgestemmt und Abflussrohre überprüft, Rattenfallen aufgestellt, aber ohne jedes Ergebnis.
»Riecht nach Tod«, sagten die älteren Beamten. Rebus wusste, was sie meinten: Von Zeit zu Zeit wurde eine Leiche entdeckt, die in einer Doppelhaushälfte aus den Sechzigern im Sessel vor sich hin verweste, oder aus dem Hafen von Leith ein Aufgeweichter gefischt. Im Leichenschauhaus gab es für solche Fundstücke einen besonderen Raum, und die Sektionsgehilfen hatten ein Radio auf den Fußboden gestellt, das man auf Wunsch einschalten konnte: »Lenkt ein bisschen vom Gestank ab.«
Am Gayfield Square bestand die Lösung darin, sämtliche Fenster aufzureißen, wodurch die Raumtemperatur schlagartig absank. Das vom CID-Raum durch eine Glastür abgetrennte Büro von Detective Chief Inspector James Macrae ähnelte einem begehbaren Kühlschrank. An diesem Morgen hatte Macrae Weitblick verraten und von seinem Haus in Blackhall ein Elektroöfchen mitgebracht. Rebus hatte irgendwo gelesen, dass in Blackhall die reichsten Einwohner von Edinburgh lebten. Konnte man sich gar nicht so richtig vorstellen: Bungalows, so weit das Auge reichte. Eigentumswohnungen in Barnton und der New Town kosteten Millionen. Andererseits erklärte das ja vielleicht gerade, warum die Leute, die darin wohnten, nicht so reich waren wie die in Bungalowland.
Macrae hatte das Heizöfchen angeschlossen und eingeschaltet, aber es stand direkt neben seinem Schreibtisch, so dass seine Wärme auch keinen Schritt weiter darüber hinausreichte. Phyllida Hawes war schon so nah herangerückt, dass sie beinah auf Macraes Schoß saß – was der DCI mit einem finsteren Blick zur Kenntnis nahm.
»Schön«, knurrte er und verschränkte die Hände wie zu einem zornigen Gebet, »Fortschrittsbericht.« Aber bevor Rebus anfangen konnte, erkannte Macrae ein Problem. »Colin, schließen Sie bitte die Tür. Dass das bisschen Wärme im Raum bleibt.«
»Wird ein wenig eng, Sir«, bemerkte Tibbet. Er stand in der offenen Tür, und was er sagte, stimmte: Mit Macrae, Rebus, Clarke und Hawes im Raum blieb wirklich kaum noch Platz für ihn übrig.
»Dann gehen Sie wieder an Ihren Schreibtisch«, erwiderte Macrae. »Phyllida kann bestimmt auch in Ihrem Namen Bericht erstatten.«
Genau das durfte er aber nicht zulassen: Wenn Clarke zum DI aufrückte, würde eine Detective-Sergeant-Stelle frei werden, wodurch Hawes und Tibbet nicht mehr lediglich Partner, sondern auch Konkurrenten gewesen wären. Er zog den Bauch ein und schaffte es, die Tür hinter sich zu schließen.
»Fortschrittsbericht«, wiederholte Macrae. Dann aber klingelte sein Telefon, und er nahm knurrend ab. Rebus machte sich Gedanken über den Blutdruck seines Vorgesetzten. Seiner war auch nicht gerade berühmt, aber Macraes Gesicht sah chronisch braunrot aus, und obwohl er ein paar Jahre jünger als Rebus war, hatte er kaum noch Haare auf dem Kopf.Wie Rebus’ Arzt bei seinem letzten Check-up gemeint
Weitere Kostenlose Bücher