Ein Rest von Schuld - Rankin, I: Rest von Schuld - Exit Music
Blair Street. Auf der anderen Straßenseite warb ein beleuchtetes Schild für eine Kellersauna. Ein Stück weiter die steile Straße hinauf stand ein Grüppchen von Rauchern fröstelnd vor einem Lokal, und vom Hunter Square, wo die Obdachlosen der Stadt oft Hof hielten, bis sie von der Polizei zum Weitergehen aufgefordert wurden, war in Abständen Geschrei und Gejohle zu hören.
Im Eingang des Mietshauses war es duster, also hielt Rebus sein Feuerzeug unter die Gegensprechanlage, während Clarke die verschiedenen Namen zu entziffern versuchte. Untervermietete Wohnungen und eine fluktuierende Population bedingten, dass neben manchen Klingeln ein halbes Dutzend Namen standen, mit hingekritzelten Ergänzungen auf sich ablösenden Klebeschildchen. Sievewrights Name war mit Mühe und Not auszumachen, und als Clarke auf den Knopf drückte, ging die Tür mit einem Summen auf, ohne dass sich jemand zuvor erkundigt hätte, wer da sei. Im Treppenhaus gab es ausreichend Licht.
»Jemand hat eine Katze«, sagte Rebus schnüffelnd.
»Oder eine schwache Blase«, fügte Clarke hinzu. Sie stiegen die Steinstufen hinauf, und Rebus blieb auf jeder Etage stehen, als wollte er sich die verschiedenen Namen an den Türen ansehen, in Wirklichkeit aber, um zu verschnaufen. Als er den dritten Stock erreichte, hatte Clarke schon geklingelt. Die Tür wurde von einem jungen Mann mit zerzaustem Haar und einem dunklen Siebentagebart geöffnet. Er trug Eyeliner und ein rotes Stirntuch.
»Sie sind nicht Kelly«, sagte er.
»Tut mir leid, Sie zu enttäuschen.« Clarke hielt ihren Dienstausweis in die Höhe. »Wir möchten Nancy sprechen.«
»Sie ist nicht da.« Er schien augenblicklich in die Defensive zu gehen.
»Hat sie Ihnen von dem Toten erzählt, den sie gefunden hat?«
»Was?« Dem jungen Mann klappte der Mund auf.
»Sind Sie ein Freund von ihr?«
»Mitbewohner.«
»Sie hat’s Ihnen nicht erzählt?« Clarke wartete auf eine Erwiderung – jedoch vergebens. »Na, wie auch immer, das ist jetzt bloß eine Nachbefragung. Sie hat sich nichts zuschulden kommen lassen -«
»Wenn Sie uns also liebenswürdigerweise reinlassen«, unterbrach Rebus, »werden wir uns bemühen, den lieblichen Heugeruch zu ignorieren, der uns da entgegenweht.« Er produzierte ein, wie er hoffte, ermutigendes Lächeln.
»Klar.« Der junge Mann zog die Tür ein Stückchen weiter auf. Nancy Sievewright steckte den Kopf aus ihrer Zimmertür.
»Hallo, Nancy«, sagte Clarke und betrat den Flur. Überall standen Kartons herum – Zeug für die Wertstofftonne, Zeug für den Müll, Zeug, für das sich im begrenzten Stauraum der Wohnung kein Platz gefunden hatte. »Da wären nur noch ein paar Punkte zu klären.«
Nancy stand jetzt auf dem Flur und machte die Zimmertür hinter sich zu. Sie trug einen kurzen engen Rock, dazu schwarze Leggings und ein Top, das ein Gutteil ihres Bauchs und einen gepiercten Nabel sehen ließ.
»Ich wollt gerade gehen«, sagte sie.
»Ich würde noch eine Schicht drüberziehen«, empfahl Rebus. »Es ist saukalt.«
»Dauert bloß einen Augenblick«, beruhigte Clarke den Teenager. »Wo können wir uns am besten unterhalten?«
»Küche«, erwiderte Nancy knapp. Wohl deshalb, weil der süßliche Dopegeruch aus einer anderen geschlossenen Tür, wahrscheinlich der des Wohnzimmers, kam. Es war auch Musik zu hören, irgendwas Wirres, Elektronisches. Rebus konnte es nicht genau einordnen, aber es erinnerte ihn ein bisschen an Tangerine Dream.
Die Küche war eng und zugemüllt; die WG lebte offenbar von Imbissmahlzeiten. Das Fenster stand ein wenig offen, was aber den Gestank aus der Spüle nicht nennenswert verringerte.
»Jemand hat vergessen, dass er mit dem Abwasch dran war«, meinte Rebus.
Nancy ignorierte ihn. Sie hatte die Arme verschränkt und wartete auf eine Frage. Clarke klappte wieder ihre Mappe auf und holte Todd Goodyears makellosen Bericht und eine weitere Visitenkarte heraus.
»Wir würden Sie bitten, möglichst bald zur Gayfield-Square-Wache zu kommen«, begann Clarke, »und eine richtige Aussage zu machen und zu unterschreiben. Fragen Sie nach einem dieser Beamten.« Sie reichte ihr die Karte. »Vorerst möchten wir nur ein paar Punkte klären. Sie waren auf dem Weg hierher, als Sie die Leiche gefunden haben?«
»Ja.«
»Sie waren bei einer Freundin in …« Clarke tat so, als müsste sie im Bericht nachsehen. Sie erwartete von Nancy, dass sie den Satz vollendete, aber das Mädchen schien sich nicht erinnern zu können. »In
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