Ein Rezept für die Liebe: Roman (German Edition)
wieder hatte er ein Wort durchgestrichen und durch ein anderes ersetzt, trotzdem war er immer noch nicht sicher, ob er seinen Gefühlen einen angemessenen Ausdruck verliehen hatte.
Er wusste, dass Grace Poesie mochte, und er wollte ihr mit seinem Gedicht sagen, wie sehr er es schätzte, dass sie sich um ihn gekümmert hatte. Er wollte sie wissen lassen, dass er sie für eine gute Krankenschwester hielt, doch ihm war beim besten Willen kein gutes Wort eingefallen, das sich auf Schwester reimte. Bester und Trester waren wohl kaum das Richtige.
Er faltete das Blatt Papier zusammen und schob es in einen Umschlag. Der starke Husten hatte ihn vier Tage lang außer Gefecht gesetzt, und Grace war jeden Morgen und jeden Abend vor beziehungsweise nach dem Dienst vorbeigekommen, um nach ihm zu sehen. Sie hatte seinen Puls gefühlt und seine Lungen abgehorcht. Sie hatte ihm von Rob erzählt, und er hatte ihr von Katie erzählt. Und sie hatte ihm jedes Mal Suppe mitgebracht. Grace war eine gute Frau.
Er klebte eine Briefmarke in die obere Ecke, ehe er aus seinem Büro spähte. Katie stand mit dem Vertreter von Frito-Lay, von denen sie ihr Knabberzeug bezogen, im Laden und ließ sich wahrscheinlich gerade irgendwelches »biologisch-dynamisches« Zeug aus deren Sortiment aufschwatzen, was in Stanleys Augen nichts als Humbug war.
Eilig schrieb er Graces Adresse auf den Umschlag und schob ihn unter den Stapel mit der Ausgangspost. Einige Informationsbroschüren lagen auf seinem Schreibtisch. Er zog die Schublade auf und legte sie hinein. Ihm war klar, dass seine Enkeltochter ihn dazu bringen wollte, sein Kassen- und Buchhaltungssystem auf Vordermann zu bringen. Aber er war nicht im Geringsten daran interessiert. Er war einundsiebzig Jahre alt und das war zu alt, um noch etwas an der Art und Weise zu ändern, wie er seit über vierzig Jahren sein Geschäft führte. Wäre seine Frau nicht gestorben, wäre er inzwischen längst im Ruhestand und würde seine Ersparnisse für Reisen oder andere Freizeitbeschäftigungen statt für irgendwelche neumodischen Buchführungssysteme ausgeben.
Stanley legte die Hand auf die Schreibtischplatte und erhob sich. Bei seiner Rückkehr in den Laden hatte er festgestellt, dass Katie einiges verändert hatte. Nichts Weltbewegendes, nein, sie hatte nur ein paar Waren anders eingeräumt. Allerdings war er sich nicht sicher, warum die rezeptfreien Medikamente neben den Präservativen in Gang fünf stehen mussten. Und sie hatte die Lebendköder, die er stets neben der Milch im Kühlregal stehen gehabt hatte, aus irgendeinem nicht ersichtlichen Grund zu den Fleischwaren im Sonderangebot gestellt. Außerdem war ihm aufgefallen, dass sie Gourmet-Gelees und Oliven ins Sortiment aufgenommen hatte. Im Grunde störte es ihn nicht, da es bedeutete, dass sie sich in die Führung des Ladens einarbeitete, aber er konnte sich nicht vorstellen, dass sich derartige Waren in Gospel verkauften.
Er machte ein Gummiband um die Post, und als Orville Tucker mit dem Postlaster vorbeikam, reichte er ihm den Stapel, bevor er es sich anders überlegen konnte. Er fragte sich, was Grace wohl von seinem Gedicht hielt, ehe er sich sagte, dass es keine Rolle spiele, denn er hatte sein Bestes gegeben. Andererseits
war Grace eine ausgezeichnete Dichterin und er nur ein Amateur. Er verdiente sich seinen Lebensunterhalt mit dem Zerlegen von Fleisch. Wie kam er auf die Idee, er könnte ein Gedicht verfassen?
Den Rest des Tages brachte er damit zu, sich Sorgen darum zu machen, was Grace wohl sagen würde. An diesem Abend war seine Qual so übermächtig, dass er am liebsten ins Postamt auf der Blaine Street eingebrochen wäre, um den Umschlag mit dem Gedicht wieder zurückzuholen. Doch das Postamt war eines der wenigen Gebäude in Gospel, das eine Alarmanlage besaß. Er wünschte, er hätte den Brief nie abgeschickt. Und falls er nichts von Grace hören sollte, war ihm klar, dass sie seine Verse entsetzlich fand.
Doch am nächsten Tag rief Grace an und schwärmte, wie begeistert sie von seinem Gedicht sei. Sie fühle sich sehr geschmeichelt, meinte sie, und das Gedicht habe sie tief im Herzen bewegt. Ihr Lob berührte Stanleys Herz in einer Weise, mit der er niemals gerechnet hätte. Es erinnerte ihn daran, dass sein Herz noch einen anderen Sinn hatte, als Blut durch seine Adern zu pumpen, und als sie ihn und Kate für den folgenden Tag zum Abendessen einlud, sagte er erfreut für sie beide zu. Katie lag ihm ohnehin ständig in den
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