Ein Ring aus Asche
nicht bis morgen warten könnte. Ich habe Plastikfolien über die Fenster im ersten Stock gespannt, für den Fall, dass es regnet. Morgen werde ich frühzeitig anfangen und alles fertig machen.« Er blickte zu Richard hinüber, der mit ernster Miene bei der Spüle stand. »B ist du so weit, Riche?«
Richard nickte, warf mir einen schnellen Blick zu und lief aus der Küche. Ich überließ es Thais, die beiden nach draußen zu begleiten und allerhand Dankbarkeitsbekundungen von sich zu geben– ich war dafür zu geschockt. Oh mein Gott, Richard hatte mich geküsst! Ich meine, ich war unerwünschten Küssen ausgewichen, seit ich zwölf war. Ich wusste, wie man so was umging. Wie nur war er an mich herangekommen? War ich so überrascht gewesen, dass ich…
Ich wartete, bis ich die vordere Tür ins Schloss fallen hörte, und lief dann in den Korridor, wo sich die Treppe befand. »D u siehst geschafft aus«, sagte ich zu Thais. »G eh nur und dusch dich zuerst.«
Sie nickte müde und lief nach oben.
Ich setzte mich auf die unterste Stufe, mein Kinn in die Hand gestützt. Ich konnte Richard nicht ausstehen. André… Luc war der Einzige, den ich küssen, der einzige Kuss, an den ich mich erinnern wollte. Und nun hatte Richard das geändert. Ich wusste jetzt, wie es sich anfühlte, wenn er mich an sich drückte, wie er küsste.
Zur Hölle mit ihm.
Kapitel 21
Unterwandere all ihre Pläne
Eine kalte Dusche. Das war’s, was sie jetzt brauchte. Eine kalte Dusche, ein paar Kopfschmerztabletten, etwas zu essen, und dann würde es ihr wieder gut gehen.
Axelle warf einen Blick auf ihre Uhr, als sie die Eingangstür öffnete. Kurz nach zehn. Thais war wahrscheinlich schon zu Hause, vielleicht sogar bereits im Bett. In der Wohnung ließ sie ihre Tasche auf den Tisch fallen. Minou kam herbeigetrottet und rieb sich an Axelles Beinen.
»W as ist los?«, murmelte Axelle. »H at Thais dich nicht gefü…«
Axelle seufzte. Richtig, keine Thais. Sie ging, um Minous Schüssel mit Futter zu füllen, musste sie jedoch erst mal finden. Dann öffnete sie eine Flasche Wasser und kramte in einem Schrank nach ihren Tylenol-Tabletten. Sie nahm vier Stück auf einmal und spülte sie mit Pellegrino hinunter.
Der Kühlschrank war leer. Was vollkommen okay und normal gewesen wäre, wenn Axelle sich nicht inzwischen daran gewöhnt hätte, dass Thais ihn mit Joghurt, interessanten Käsesorten, aufgeschnittenem Schinken und sogar Eiern füllte. Axelle fand eine halb leere Packung zuckerüberzogener Mini-Wheat-Cornflakes und nahm sie mit ins Wohnzimmer. Sie ließ sich auf die Couch plumpsen, öffnete die Schachtel und begann, die Cornflakes trocken, wie sie waren, geräuschvoll zu zerbeißen. Ihre Kaubewegungen wurden zusehends wütender. Das hier war erbärmlich! Sie war erbärmlich! Die ganze Zeit über war sie ohne Thais zurechtgekommen, ohne irgendjemanden, und es war vollkommen okay gewesen. Würde sie zusammenbrechen, jetzt, da Petra ihr Thais weggenommen hatte? Auf keinen verfluchten Fall! Axelle erhob sich und schmiss die Schachtel auf den Boden. Sie würde duschen, sich umziehen und dann ausgehen, um etwas Richtiges zu essen. Schließlich gab es jede Menge Restaurants, die die ganze Nacht geöffnet hatten. Oder sie konnte sich etwas bestellen.
Sie zündete sich eine Zigarette an und blies den Rauch durch das Zimmer. Es war nicht von der Hand zu weisen, dass ihr Thais fast ein wenig fehlte. Nicht weil sie so eine Spaßkanone gewesen wäre. Ganz im Gegenteil. Sie hatte ihre Schulbücher immer über den Esstisch verstreut und ein gequältes Gesicht gezogen, wenn Axelle ihre Kleider auf dem Boden liegen gelassen hatte. Mit Clio, der anderen, hätte man sehr viel mehr Spaß haben können. Es hätte ihr gefallen, durch die Bars zu ziehen, während Thais nur wegen ihrer Minderjährigkeit rumgequengelt hatte. Sie hätte Spaß daran gehabt, shoppen zu gehen, wohingegen Thais mit ihren langweiligen Schulmädchenklamotten völlig zufrieden schien.
Dennoch hatte Thais einen neuen, interessanten Aspekt in Axelles Leben gebracht– es war das erste Mal gewesen, dass sie auch nur annähernd so etwas wie Verantwortung für jemanden übernommen hatte. Vielleicht hatte sie es nicht wahnsinnig gut gemacht– sie war nun mal keine Werbespot-Mutti. Aber war sie so schlecht gewesen, dass Thais bei der erstbesten Gelegenheit zu Petra hatte rennen müssen?
Und überhaupt, verdammte Petra. Sie ging davon aus, ein Recht auf die Mädchen zu haben, alles besser
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