Ein Ring aus Asche
das Gemurmel nicht länger verstehen.
Leise entfernte sie sich von der Tür, griff nach ihrer Tasche und verließ das Apartment. Geräuschlos schloss sie die Tür hinter sich und ging in die dunkle, überdachte Auffahrt neben dem Haus. Sie lehnte sich gegen den glatten, kühlen Putz und dachte nach.
Nun gut, es stimmte. Sie hatte es zugelassen, dass ihre Magie nachließ. Sie war nie eine Musterschülerin gewesen. Statt alles zu lernen, was es zu wissen gab, hatte sie sich immer nur auf einzelne Aspekte konzentriert, die sie für die Anwendung bestimmter Zaubersprüche benötigte. Und was war so falsch daran?
Abgesehen davon hatte sie stets geglaubt, dass sie, Daedalus und Jules innerhalb des Ritus ein Dreieck bildeten, ein Gleichgewicht der Mächte. Doch die beiden planten etwas und sie hatten Axelle nicht eingeweiht. Vielleicht war ihre Freundschaft mit Jules und Daedalus doch nicht so eng, wie sie geglaubt hatte? Vielleicht sollte sie mehr auf sich aufpassen, sich besser schützen. Ja, Dadealus war sehr stark, aber Petra und Richard genauso, und auch Luc, wenn er sich konzentrierte.
Mehr als eine Allianz konnte geschmiedet werden.
Daedalus hatte so überzeugend dargelegt, wie dieser Ritus ihrer aller Bedürfnisse befriedigen würde, auch wenn sie sich voneinander unterschieden, doch mit einem Mal war sich Axelle da gar nicht mehr so sicher. Daedalus’ Bedürfnisse würden zweifellos befriedigt– dafür würde er sorgen. Und jeder, dessen Wünsche mit seinen konform liefen, würde ebenfalls gut wegkommen.
Aber nicht alle wollten dasselbe. Für Axelle galt es, herauszufinden, was sie sich selbst von der ganzen Sache versprach. Und dann würde sie sich mit demjenigen zusammentun, der ihr dabei helfen konnte, es zu bekommen, wer auch immer das sein mochte.
Jetzt, nachdem sie sich einen Plan zurechtgelegt hatte, lief sie zurück zu ihrem Apartment. Diesmal ließ sie die Tür laut hinter sich zufallen und machte jede Menge Lärm, während sie durch das weitläufige Zimmer ging. In der Küche hantierte sie klirrend mit ein paar Gläsern herum, zündete sich schließlich eine Zigarette an und wartete.
Nach nur einer Minute kamen Jules und Daedalus aus dem Arbeitszimmer herunter.
»A h! Axelle«, rief Daedalus mit einem Lächeln. »W ir haben auf dich gewartet… Ich habe ein paar Fragen bezüglich der alten Stadt, und ich wusste, wenn sich jemand daran erinnern kann, dann du.«
»W ir sind gerade erst gekommen«, fügte Jules hinzu. »V or vielleicht fünf Minuten. Jetzt, wo du da bist, können wir anfangen.«
»O kay, ich will mir nur schnell was zum Trinken einschenken«, sagte Axelle. Sie goss sich ein wenig Wermut in ein Glas und blickte die beiden an. »B in so weit.«
Kapitel 22
Mein, nur mein
In seinem Traum hatte er noch sein ganzes Leben vor sich, eine schier unendliche Fülle von Möglichkeiten. Er freute sich darauf, ein Mann zu werden, größer, breiter, stärker. Eines Tages, in nicht allzu ferner Zukunft, würde er das Haus seines Vaters verlassen und ein eigenes besitzen. Eines Tages wäre Richard groß und stark genug, dass er, wenn sein Vater zuschlagen wollte, stattdessen ihn niederschlagen könnte.
Und er wäre ein Mann, ein Mann für Cerise, wenn dieser Dummkopf von Marcel sie bis dahin nicht so sehr unter Druck gesetzt hatte, dass sie tatsächlich sein Frauchen wurde. Noch zwei Jahre, dachte Richard. Dann wäre er siebzehn. Bei Weitem alt genug. Bis dahin musste er Cerises Interesse wachhalten, was ihm bislang ganz gut zu gelingen schien.
Nach monatelangen Verfolgungsjagden, während derer sie ihn ausgelacht und ein Kind genannt hatte, war er endlich von ihr beachtet worden. Sie war nie unfreundlich zu ihm gewesen, doch sie war älter als er, und Marcel hatte ihr auf seine beharrliche, hartnäckige Art den Hof gemacht. Letzten Monat hatte Richard sie schließlich beim Fangenspielen eingeholt, gegen einen Baum gedrückt und so lange geküsst, bis sie beide völlig außer Atem gewesen waren. Seitdem hatten sie sich noch zweimal geküsst, immer wilder und länger. Nun lachte sie ihn nicht mehr aus. Wenn sie ihn jetzt ansah, erkannte er sein eigenes Verlangen in ihren Augen.
Letzte Woche dann war Richard Zeuge geworden, wie Marcel endlich der Geduldsfaden gerissen war. Nach einem Treffen des Zirkels hatte er sie nach Hause begleitet und Richard war ihnen in der Dunkelheit in einiger Entfernung gefolgt. Als Cerises Mutter und ihre Schwester ins Haus gegangen waren, hatte Marcel sie
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