Ein Ring aus Asche
gepackt und geküsst. Sie hatte sich sanft aus seinen Armen gewunden und eine Hand auf seine Wange gelegt. »L ieber Marcel«, hatte sie gesagt, und Richard hatte ihre Worte erhascht, als wären sie Blätter, die der Wind zu ihm herübertrug. Seine Hand hatte den Griff seines Jagdmessers umschlossen, doch dann war Cerise ins Haus gegangen und Marcel nach Hause.
Sie war alt genug, um Marcel zu heiraten, und Marcel war alt genug, um sie zur Frau zu nehmen. Rein rechtlich gesehen, hätte sich auch Richard mit fünfzehn vermählen können, doch er hatte noch keinen Beruf, keine Möglichkeit, eine Frau zu versorgen, geschweige denn eine ganze Familie zu ernähren, und das nagte an ihm.
Doch er und Cerise hatten gemeinsam in der Wiese gelegen, einander umklammert und sich so heftig geküsst, als würde ihr Leben davon abhängen. Sie hatten nicht aufhören können, waren wild gewesen vor Verlangen, die Luft auf ihrer Haut heiß und schwer. Ganz gewiss war Richard jetzt von ihr beachtet worden.
Dann änderte sich der Traum, und Richard stand vor dem Gemischtwarenladen, bei dem es sich in Wirklichkeit um einen der vorderen Räume aus dem Haus der Familie Chevet handelte. Marcel und Cerise stritten. »D u musst mich heiraten«, hatte Marcel gerade gesagt. Seine bleiche Haut war gerötet und sein rötliches, helles Haar leuchtete flammend in der Sonne. »D u erwartest mein Kind.«
Richards Herz krampfte sich wie unter einem Schraubstock zusammen, es schnürte ihm die Luft ab.
»I ch werde niemanden heiraten«, hatte Cerise gefaucht, während Madame Chevet die Szene fasziniert beobachtete. »D as Kind gehört mir ganz allein!«
Sie raffte ihren Rock zusammen und marschierte von dannen, wobei der Einkaufskorb schwer an ihrem Handgelenk hing. Marcel hatte ihr nachgeschaut, grimmige Entschlossenheit im Gesicht.
Einige Minuten vergingen, ehe Richard wieder richtig Luft bekam. Außer Sichtweite stand er an die Wand des Gebäudes gelehnt. Er fühlte sich wie nach einer heftigen Fieberattacke.
Diese eine Tatsache hatte sich in sein Bewusstsein gebrannt: Cerise hatte nicht zugegeben, dass das Kind von Marcel war, aber sie hatte es auch nicht abgestritten.
7
Keuchend wachte Richard auf und klappte wie ein Taschenmesser in eine sitzende Position. Orientierungslos blickte er sich um. Sein Herz klopfte, und seine Haut war mit einem dünnen Schweißfilm überzogen, der nicht von den hohen Temperaturen herrührte.
Okay. Er befand sich in seinem Zimmer bei Luc. Das Bett war klamm. Er rutschte an den Rand der Matratze und fingerte nach seinen Zigaretten. Mit zitternden Fingern zündete er sich eine an und schluckte den heißen Rauch. Mit der anderen Hand wischte er sich den Schweiß von der Stirn.
Manchmal verabscheute er Marcel immer noch so sehr, dass seine Seele schwarz wurde vor Hass und er Schwierigkeiten hatte, zu atmen.
Cerise. Wie konnte sie ihn nach zweihundert Jahren immer noch in seinen Träumen verfolgen? Bei Gott, er hatte seitdem unzählige Frauen gehabt. Doch Cerise war die Erste gewesen. Déesse, und wie sehr hatte er sie geliebt! Sie erschien vor seinem inneren Auge. Er runzelte die Stirn. Cerise hatte keine schwarzen Haare. Oh nein. Richard sog so heftig den Atem ein, dass es wehtat. Kalter Schweiß brach ihm aus, seine Hand zitterte. Cerise mit schwarzem Haar war Clio. Oder Thais.
Er schüttelte den Kopf, um das Bild aus seinen Gedanken zu vertreiben. Er hatte Clio geküsst. Ohne es zu wollen oder je geplant zu haben. Neulich hatte er Luc einfach nur ärgern, ihn aufziehen wollen, um ihn ein wenig aus der Fassung zu bringen. Letzte Nacht hatte ihn Clio herablassend und wenig gastfreundlich behandelt– er merkte, dass sie ihn nicht mochte. Es hatte ihm einen Kick gegeben, sie wie ein Tier schuften zu sehen. Sogar verschwitzt, von oben bis unten verdreckt und voller Ruß war sie immer noch eine Schönheit. Beide waren es. Doch Clio hatte dieses dünne Tanktop und die superknappen Shorts angehabt, und mit einem Mal hatte er sie begehrt. Was er als zutiefst verstörend und alles andere als begrüßenswert empfunden hatte.
Aber so wie sich die Mädchen heutzutage kleideten… Cerise war stets von Kopf bis Fuß bedeckt gewesen, wie alle Frauen aus dem Dorf. Der nackte Frauenkörper war einer Offenbarung gleichgekommen und hatte seinen Kopf beinahe zum Platzen gebracht.
Und da war Clio nun gewesen, auf dem Servierteller. Diese langen, gebräunten Beine, die schlanken, starken Arme… Das schwarze Haar, das sie zu
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