Ein Ring von Tiffany - Roman
nicht mit irgendwelchen Gedanken über die Zukunft verrückt machen.
Was auch ganz gut funktioniert hatte, bis er ihr den Antrag machte. Und nicht nur das, sondern ihr gleich auch noch den Ring über den Finger streifte, während Leigh wie zur Salzsäule erstarrt dasaß, und sie auf den Mund küsste, der in ungläubigem Staunen weit offen stand. Nie in ihrem ganzen Leben hatte etwas sie so unvorbereitet getroffen, und man musste kein Genie sein, um zu erkennen, dass sie in den vergangenen Monaten immer wieder Zweifel geplagt hatten. Was sie weder Russell noch irgendwem sonst erklären konnte, war, was denn nun eigentlich nicht stimmte. Seit ihrer ersten Begegnung hatte sich zwischen ihnen nichts verändert; er war noch haargenau so lieb und süß und verständnisvoll wie zu Beginn. Das Problem war, dass Leigh immer noch darauf wartete, sich bis über beide Ohren in ihn zu verlieben, und alle anderen - ihre Freunde, ihre Eltern, und, am allerschlimmsten, Russell selbst - davon ausgingen, dass sie das längst getan hatte. War es in Anbetracht all dessen wirklich so merkwürdig, dass sie sich einfach Zeit lassen wollte?
Nun seufzte er. »Ich verstehe. Ich wünschte nur, du klängest, ich weiß nicht, ein bisschen begeistert . Redest du überhaupt jemals mit den Mädels darüber?«
»Ja natürlich«, log Leigh. Emmy und Adriana fragten sie ständig über die Hochzeitsplanungen aus - sie wollten unbedingt
eine Junggesellinnenparty veranstalten -, aber Leigh bemühte sich jedes Mal, das Thema zu wechseln. Warum begriffen sie nicht, dass ihr das Ganze viel zu schnell ging? Doch selbst beim Gedanken daran bekam sie schon Schuldgefühle, darum schlug sie einen sanfteren Ton an und sagte: »Baby, ich bin von allem restlos begeistert. Wir heiraten, und wenn das geschafft ist, fahren wir weit, weit weg an irgendeinen exotischen Ort, so was wie die Malediven, und da entspannen wir und machen es uns schön, okay? Versprochen.«
»Ziehst du dann den Bikini an, den ich so toll finde? Den mit den Metallringen an den Hüften und zwischen den beiden Hälften des Oberteils?«
»Na klar.«
»Und du nimmst weder deinen Laptop noch ein einziges Manuskript mit, nicht mal als Lektüre für den Flug?«
»Kein einziges«, versicherte sie ihm, obwohl ihr bei diesem Punkt etwas mulmig wurde. »Es wird perfekt.«
»Abgemacht.« Russell hörte sich an, als wäre der Fall damit ein für alle Mal zu den Akten gelegt.
»Ich rufe später noch mal an und sag dir gute Nacht, okay?«
»Du kommst definitiv morgen zurück, ja? Wir brauchen wenigstens einen Abend für uns, vor dem großen Elternkennenlernen an Thanksgiving.«
»Aber klar, Baby. Morgen Abend bin ich definitiv zu Hause«, presste Leigh heraus. Ihr graute gar nicht mal so sehr vor Thanksgiving in Connecticut, obwohl sie einigen Grund dazu gehabt hätte, da Russells gesamte Familie hinflog, um den Feiertag mit Leighs Eltern zu verbringen, aber ihr verzweifelter Wunsch, endlich aufzulegen, war im Moment stärker als alles andere.
Russell schickte einen dicken Schmatz durch den Hörer, wie immer, wenn sie voneinander getrennt waren.
Leigh tat es ihm nach, kam sich albern vor und fühlte sich leicht verärgert und dann schuldbewusst, weil sie sich albern
und verärgert fühlte. Sie legten auf. Sie empfand Erleichterung und dann Erschöpfung - sie war so müde, dass sie nicht einmal mehr ihr Buch wieder aufschlug.
Als sie erwachte, hatte sie das irritierende Gefühl, dass jemand sie beobachtete. Sie spähte aus dem Fenster und sah im Licht über der Haustür ein paar Schneeflocken durch die Luft tanzen. Im Zimmer war es stockfinster, doch sie spürte, dass noch jemand anwesend war.
»Jesse?«
»Hey.’tschuldigung. Hab ich Sie erschreckt?«
Als ihre Augen sich an die Dunkelheit gewöhnt hatten, sah sie ihn am anderen Ende des Zimmers in dem Mahagonischaukelstuhl sitzen, die Hände vor der Brust gekreuzt und den Kopf angelehnt. Von irgendwoher drang der Duft nach frischem Knoblauch und selbstgebackenem Brot herein.
»Was tun Sie hier?«
»Nur Ihren Schlaf bewundern.«
»Meinen Schlaf?«
»Ich wollte Sie zum Abendessen wecken, aber Sie sahen so friedlich aus. Ich schlafe eigentlich so gut wie nie, deshalb ist es immer schön, jemand anderem dabei zuzusehen. Vermutlich ein bisschen unheimlich, aber ich hoffe, es macht Ihnen nichts aus.«
»Es hat was Ironisches, ich schlafe nämlich nirgendwo sonst so gut wie hier. Irgendwas hat dieser Ort, was besser ist als Badstilnox«, sagte
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