Ein Ring von Tiffany - Roman
Evian und Poland Spring gab, füllte sie seine Flasche dreimal täglich auf, um sicherzustellen, dass er auch alle Giftstoffe ausschwemmte. Ein Termin beim Vogelpfleger mit Vollbad, Pflegespülung
für das Federkleid und Krallenpflege vervollständigten seine Verjüngungskur.
Was es doch ausmachte, sich ein bisschen was zu gönnen! Adriana schrieb es sich hinter die Ohren, für den (eher unwahrscheinlichen) Fall, dass sie je daran zweifelte, ob es wirklich wichtig war, sich zu verwöhnen. Otis war wie ausgewechselt. Er sang, er zwitscherte, er wackelte mit dem Kopf im Takt zu den Bossa-Nova-Rhythmen, die ständig durch die Wohnung schallten. In nur einer Woche hatte sich das aggressive, ins Bad verbannte Vieh in einen liebenswürdigen Spielkameraden verwandelt, der sich gern auf das Sofa kuschelte. Eben an jenem Morgen hatte er demonstriert, wie weit er schon gekommen war, indem er endlich die gewünschte Reaktion auf Adrianas unermüdliches Training zeigte.
»Okay, Otis, jetzt versuch dich zu konzentrieren, querido «, gurrte sie und nahm einen Handspiegel aus ihrem Nachttisch. Sie gingen ins Wohnzimmer und setzten sich zusammen auf den Boden, wo Otis vergnügt an einer Möhre knabberte und Adriana ihm sein neues Vokabular eintrichterte.
»Also, ich halte dir jetzt den Spiegel hin, und du sagst mir, wen du da siehst, okay? Denk daran, du bist ein kluger, schöner Vogel und musst dich für nichts schämen. Bist du bereit?«
Otis mümmelte weiter.
Adriana ließ ihn sein Gesicht im Spiegel sehen und hielt den Atem an. Sie waren nahe dran, das spürte sie, aber bisher hatte Otis sich nicht dazu bewegen lassen, etwas anderes als »Fettkloß!« zu kreischen, wenn er sein Spiegelbild erblickte. Sie hielt den Spiegel ganz still, wartete und hoffte inständig, er werde die richtigen Worte sagen.
Er war eindeutig völlig gebannt von sich selbst - wenn das kein gutes Zeichen war -, plusterte ein wenig die Flügelfedern auf und öffnete kaum merklich den Schnabel. Es schien ihm zu gefallen, was er sah, obwohl sich das natürlich nicht mit Sicherheit sagen ließ. Komm schon , dachte Adriana, du schaffst es!
Und siehe da, mit schief gelegtem Kopf und funkelnden Augen krähte Otis: »Hübsche Schnecke!«
Vor Aufregung fiel Adriana fast in Ohnmacht. »Oh, was bist du doch für ein braver Junge!«, piepste sie begeistert in Babysprache. »So ein braver Junge! Möchte der brave Junge ein Leckerli?«
Sie hatte beschlossen, es mit Otis’ geschlechtlicher Umorientierung langsam angehen zu lassen. Alles zu seiner Zeit - sein bestürzender Mangel an Selbstwertgefühl hatte ihr die größten Sorgen bereitet.
»Traube!«, krähte Otis, offensichtlich hocherfreut. »Hübsche Schnecke! Traube! Hübsche Schnecke! Traube!« Er tänzelte über Adrianas Wade.
»Eine ungespritzte Weintraube, kommt sofort, für... für wen? Wer bekommt die Traube? Der hübsche Junge bekommt die Traube!« Sie setzte ihn auf die Sofalehne und ging in die Küche. Als sie die Schüssel aus dem Kühlschrank nehmen wollte, klingelte das Telefon.
»Hallo?«, sagte sie, leicht gereizt wegen der Störung. Sie klemmte sich das Mobilteil zwischen Schulter und Kinn und richtete ein paar Trauben auf einem Vorspeisenteller an.
»Adriana?«, keuchte eine weibliche Stimme durch den Hörer.
Anrufer, die sich selbst nicht zu erkennen gaben, aber nach dem Namen des Angerufenen fragten, trieben Adriana unweigerlich auf die Palme, aber sie zwang sich, höflich zu bleiben. »Ganz recht. Darf ich fragen, wer am Apparat ist?«
»Adriana, hier ist Mackenzie. Hi, Schätzchen! Hör zu, ich habe phänomenale Neuigkeiten. Sitzt du?«
Phänomenale Neuigkeiten klingt gut , dachte Adriana gespannt. Phänomenale Neuigkeiten klingt, als hätte Elaine beschlossen, einen (oder vielleicht auch mehrere!) von ihren Artikeln auf der Website von Marie Claire zu veröffentlichen. Phänomenale Neuigkeiten könnte unter Umständen sogar heißen, Elaine sei
so hin und weg von Adriana, dass sie regelmäßige monatliche Beiträge von ihr auf der Website plante, mit einem knalligen Link zu ihrer Homepage und (natürlich) einem geschmackvoll eingefügten Porträtbild der Autorin. Der Autorin! Wer hätte sich je träumen lassen, dass sie, Adriana de Souza, einmal Karriere machen würde... als Autorin! Und zwar als eine, die Tausende, wenn nicht Millionen mal pro Tag angeklickt werden würde. Von Mädels, die den Link zu ihrer Kolumne an all ihre Freundinnen weiterleiten und mit SMS wie »Guck dir
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