Ein Ring von Tiffany - Roman
Resignation »Fettkloß!«
Adriana fiel es wie Schuppen von den Augen: Otis fand sich zu dick, nicht sie.
Sein ganzes Gezeter, ob »Fette Schnecke« oder »Fettkloß«, war in Wirklichkeit ein einziger großer Hilfeschrei! Es war ihm offenbar klar, dass Emmy ihm in ihrer Verzweiflung immer zu viel Futter hinstellte, damit er nur endlich Ruhe gab. Wie konnte man von dem armen Vieh erwarten, sich zu mäßigen, wenn unablässig unbegrenzte Mengen von köstlichen Körnern aus der Zoohandlung in seinem Käfig zirkulierten? Adriana setzte sich sofort an den PC und entnahm ein paar Websites über die richtige Ernährung für afrikanische Graupapageien zu
ihrem Entsetzen, dass abgepacktes, kommerzielles Vogelfutter praktisch ein Garant für krankhafte Fettleibigkeit und vorzeitigen Tod durch Nierenversagen war. Ganz zu schweigen von der psychischen Last, die er zu tragen hatte! Sich Tag für Tag im Spiegel zu sehen - sein Leben in einem Käfig eingekerkert vor einem Spiegel zu verbringen! - und zu erkennen, dass er übergewichtig war und nichts dagegen unternehmen konnte … Schlimmeres ließ sich Adrianas Meinung nach kaum vorstellen.
Das änderte natürlich alles. Sobald sie begriffen hatte, dass Otis’ Zorn und seine Beschimpfungen nicht gegen sie gerichtet waren, überkam sie Mitleid mit dem kleinen Moppelchen. Noch am selben Nachmittag setzte sie sich telefonisch mit Irene Pepperberg, der Papageienexpertin schlechthin, in Verbindung und erkundigte sich, was diese Alex zu fressen gegeben hatte, ihrem weltberühmten afrikanischen Graupapagei, der über ein größeres Vokabular verfügt hatte als ein durchschnittlicher amerikanischer Achtklässler. Beflügelt durch ihre neu gewonnenen Erkenntnisse und zusätzlich motiviert von einem ihr bis dahin völlig unbekannten Helfersyndrom suchte Adriana unverzüglich einen Bioladen, den Bauernmarkt am Union Square, ein Edelzoogeschäft und einen Tierarzt auf, der sich auf exotische Vögel spezialisiert hatte. Nach fast einer Woche harter Arbeit näherte sich die Umgestaltung von Otis’ Lebensund Essgewohnheiten nunmehr ihrer Vollendung.
Es ließ sich schwer sagen, was die größte Wirkung zeigte, aber Adriana schätzte, dass es Otis’ neue Behausung war. Sie hatte seinen stinkenden, klapprigen Aluminiumkäfig mit den grässlichen Drahtstäben, der wie eine Folterzelle im Nahen Osten aussah - und klang -, ausrangiert und durch eine angemessene Residenz für einen geflügelten Bewohner ersetzt: einen von Hand gezimmerten hölzernen Kasten im Schrankformat, entworfen von einem der besten Architekten New Yorks und gefertigt von einer namhaften Firma, die seine Vision perfekt
umgesetzt hatte. Den soliden Eichenrahmen hatte Adriana in einem tiefen Kaffeebraun beizen lassen, das zu ihren Wohnzimmermöbeln passte; Boden und Decke waren aus Granit, die Seitenteile aus hochwertigem, rostfreiem Drahtgeflecht und die Vorderfront in voller Höhe aus unzerbrechlichem Acryl, das exakt wie Glas aussah. Weiterhin hatte sie einen gestochen scharfen Druck einer üppig grünen Dschungellandschaft von einem weltbekannten National-Geographic -Fotografen bestellt, ihn laminieren lassen und an der Rückwand befestigt, um Otis ein Gefühl von Naturnähe zu vermitteln, sowie eine Vollspektrumbeleuchtungsanlage einbauen lassen, damit er weniger mit dem Wechsel von Tag und Nacht zu kämpfen hatte. Dem Ratschlag eines auf Papageien spezialisierten Verhaltensforschers folgend hatte Adriana das Innere mit einem Sortiment von Simsen, Schaukeln, Borden, Futterspendern und Sitzstangen ausgestattet, von denen sie allerdings einiges später wieder entfernte, aus Furcht, dass Otis zu wenig Platz zur freien Entfaltung blieb. Die acht Riesen waren zweifellos bestens angelegt, wie sich klar zeigte, als Otis beim ersten Anblick buchstäblich zu tirilieren begann. Adriana hätte schwören können, dass er lächelte, wann immer er von seiner Bambusstange aus das Dschungelpanorama betrachtete.
Vermutlich hatte auch Otis’ neue Diät, die ausschließlich aus nährstoffreichen Körnern, Früchten und Gemüsesorten bestand, Etliches dazu beigetragen, manche seiner Probleme in Bezug auf seine Selbstwahrnehmung zu beheben. Adriana erstand einen Sack Quinoa und ergänzte die tägliche Vollwertration mit Beeren und Möhren aus organischem Anbau, plus - wegen des Kalziums - zweimal pro Woche einer Portion griechischen Joghurts. Sobald sie herausgefunden hatte, dass Otis artesischem Fiji-Wasser geschmacklich den Vorzug vor
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